Predigt am Sonntag Reminiszere über 4 Mose 21,4-9 von Kerstin Strauch

Der Predigttext für heute steht im Alten Testament. Ich lese aus dem 21. Kapitel des 4. Buches Mose. Folgendes passierte dem Volk Israel auf dem Weg durch die Wüste:

Da brachen [die Israeliten] auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier und uns ekelt vor dieser mageren Speise. Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

Herr, regiere du unser Hören und unser Reden durch deinen Heiligen Geist. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

ganze 40 Jahre war das Volk Israel mit Mose unterwegs in der Wüste. Für uns sind die 40 Tage Fastenzeit oft schon eine Herausforderung, aber 40 Jahre? Das ist ja oft mehr als ein halbes Menschenleben. Sicher hatten die Israeliten sich den Weg ins Gelobte Land einfacher vorgestellt, als sie die Fleischtöpfe Ägyptens hinter sich ließen. Immer wieder berichtet die Bibel davon, wie Israel während der Wüstenzeit anfängt zu murren. Die Wüste wird ihnen zu viel. So wollen nicht mehr und können auch nicht mehr.

Sie sind schon einige Jahre unterwegs, als sie an den Berg Hor kommen. Mose muss innerhalb kurzer Zeit seine Schwester Miriam und seinen Bruder Aaron begraben. Die Verzweiflung wird immer größer. Wie soll es weitergehen? Der Traum vom Land, in dem Milch und Honig fließen, scheint in unerreichbare Ferne gerückt. Nun bekommen die Israeliten auch noch Ärger mit den umliegenden Völkern. Die Edomiter verweigern ihnen den Durchzug durch ihr Gebiet. Auch das noch! Jetzt müssen sie eine längere Route laufen in dieser lebensfeindlichen Wüste. Das Manna, was ihnen täglich geschenkt wird, ekelt sie an. Sie wollen dieses „Brotzeugs“ nicht mehr essen.

Wüstenzeit. Dieses Bild kennen viele aus eigener Erfahrung, auch wenn sie noch nie in einer echten Wüste waren. Wüstenzeiten sind gekennzeichnet durch Verzweiflung, Trauer und Angst. Die Trauer um einen geliebten Menschen, die Sorge um das eigene Auskommen, gesundheitliche Probleme, Konflikte in der Familie oder Streitereien mit Freunden, Einsamkeit, Sorgen um andere… Vieles lastet schwer auf uns. Und manchmal kommt auch noch alles zusammen. Dann drohen wir darunter zusammenzubrechen. Dann wir uns einfach alles zu viel. Wir wollen nicht mehr und wir können nicht mehr. Wüstenzeiten des Lebens. Eine Zeit, die Angst macht.

Joachim Gauck formulierte vor einigen Jahren einmal: „Angst macht kleine Augen und ein enges Herz.“ Dieser Satz trifft es ganz genau. Die Israeliten fühlen sich in der Wüste klein, fremden Kräften ausgeliefert, fremd in einer undurchschaubaren Welt.

Das bleibt nicht folgenlos. Denn mit dieser Verdrossenheit kommt Gift in die Hoffnungen und Träume dieser Menschen. In der Bibel heißt es: Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben.

„Brandnattern“ kamen unter das Volk. Ihr tödliches Gift muss gebrannt haben wie Feuer! War es eine Strafe Gottes, wie ich in manchen Übersetzungen lese? Ich verstehe diesen Text eher als eine Folge des Kleinmuts. Mit seiner Verdrossenheit, seiner Angst hat Israel seine Hoffnungen und seine Träume vergiftet, und dieser Text scheint mir davon zu erzählen. Das Gelobte Land, was war es noch wert? Das Vertrauen in Gott wurde vergiftet und das Vertrauen in Mose und das Vertrauen untereinander auch. Jeder schaut nur auf seinen eigenen Weg.

Und die Speise Manna? „Brotzeugs“ wurde sie verächtlich genannt.

Diese Entwertung muss sich wie ein Gift in das alltägliche Leben geschlichen haben, und dieses Gift ist tödlich. Die Schlangen stehen dafür.

Verzweifelt wenden sich die Israeliten an Mose und bekennen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Wieder einmal zeigt sich, dass Gott ein Gott des Lebens und nicht des Todes ist. Er will nicht, dass unser Leben vergiftet ist. Er will, dass wir leben.

Es gibt ein wirksames Gegengift gegen alle Hoffnungslosigkeit und Angst. Die Erzählung berichtet, dass Mose eine Schlange aus Bronze anfertigen und diese an einer Stange befestigen soll. Wer nach einem Schlangenbiss auf dieses Bild blickt, wird geheilt. Eine merkwürdige, urtümliche Erzählung ist das und doch sehr modern. Ich verstehe zweierlei:

Zum ersten ist es so, dass dort, wo Schlangen sind, man gerne auf den Boden schaut und diesen absucht, um nicht versehentlich auf eine Schlange zu treten. Der Blick ist nach unten gesengt. Langsam, Schritt für Schritt, läuft man den Boden ab. Mit dem Bild, was Mose anfertigen lässt, geht der Blick nach oben – zur bronzenen Schlange. Und dieser Blick nach oben bringt eine aufrechte Haltung und ganz neue Lebensenergie mit sich: Nicht mehr klein, zaghaft und ohnmächtig gehen die Israeliten ihren Weg durchs Leben, sondern aufrecht unter freiem Himmel. Deswegen erheben wir uns ja auch nach Möglichkeit beim Segen, damit Gottes heilsame Kraft durch uns hindurchströmen und uns erfüllen und uns stark machen kann.

Als aufrechte Menschen hat uns Gott geschaffen – daran will uns diese Erzählung erinnern.

Zum zweiten verstehe ich: Diese Schlangenplage mit ihren tödlichen Folgen muss wie ein furchtbarer Schock auf die Menschen gewirkt haben. Wie haben sie diesen Schock verarbeitet?

Indem sie davon erzählten.

Wenn ich etwas Schlimmes und Bedrückendes in Worte fassen kann, kommt es aus meinem Inneren heraus, es erhält eine Form in Worten und kann so sein zerstörendes Gift in mir verlieren.

Und zum Schluss ein letzter Gedanke:

Auch wenn das Volk darum bittet, werden die Schlangen nicht weggenommen. Das Böse verschwindet nicht einfach aus der Welt. Aber mit Beten und Geschwisterlichkeit, mit Hoffen und Visionen, dem Blick nach oben, einer Erinnerungskultur, die in die Zukunft führt, verliert das Gift der Brandnattern seine tödliche Wirkung.

Das ist wohl damit gemeint, wenn Jesus sagt:

„Schlangen werden sie mit bloßen Händen aufheben, und tödliches Gift, das sie trinken, wird ihnen nicht schaden.“ (Markus 16,18)

Gottes Geist mache unseren Glauben fest, unsere Liebe furchtlos und unsere Hoffnung bunt.

Amen.

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