Predigt am Sonntag Jubilate über Sprüche 8,22-36 von Kerstin Strauch

Liebe Gemeinde,

haben Sie schon einmal etwas von „Frau Weisheit“ gehört? Wenn nicht, dann werdet ihr sie heute kennenlernen. Wenn schon, dann freut ihr euch hoffentlich, mal wieder von ihr zu hören.

Bevor sie selbst zu Wort kommt, will ich sie euch ein wenig beschreiben. Frau Weisheit ist eine phänomenale, einzigartige Persönlichkeit. Sie ist stark und weise, manchmal auch sanftmütig und geduldig, sie hat immer ein offenes Ohr und weiß stets Rat. Sie ist eine enge Gefährtin Gottes. Sie tanzt und spielt. Frau Weisheit liebt das Leben. Frau Weisheit ist alt. Dabei spielen Jahre bei ihr überhaupt keine Rolle. Sie altert nicht. Sie steht über Raum und Zeit.

Nun werde ich Frau Weisheit endlich zu Wort kommen lassen. Das Buch der Sprüche hat uns ein altes Lied überliefert, in dem sie selbst spricht. Ich lese aus dem 8. Kapitel:

22Der Herr hat mich, die Weisheit, am Anfang seiner Schöpfung erschaffen. Ich war das erste seiner Werke vor aller Zeit.

23In längst vergangenen Tagen wurde ich geschaffen, am Anfang der Erde, vor unvorstellbar langer Zeit.

24Ich wurde geboren, als es noch keine Meere gab und kein Wasser aus den Quellen der Tiefe strömte.

25Bevor die Berge in der Erde verankert wurden und die Hügel entstanden, kam ich zur Welt.

26Gott hatte das Land noch nicht geschaffen und auch nichts anderes. Nicht einmal Staub gab es auf der Erde.

27Ich war dabei, als er das Dach des Himmels baute, als er den Horizont über dem Meer bildete.

28Ich war dabei, als er die Wolken oben festmachte und die Quellen unten aus der Tiefe sprudeln ließ.

29Ich war dabei, als er dem Meer eine Grenze setzte und dem Wasser verbot, sie zu überschreiten.

Als er dann die Fundamente der Erde legte, 30stand ich ihm als Handwerkerin zur Seite. Tag für Tag war es für mich eine Freude, die ganze Zeit lachte ich an seiner Seite.

31Ich war fröhlich, dass es den Erdkreis gab, und hatte meine Freude an den Menschen.

32Ihr jungen Leute, hört jetzt auf mich! Glücklich zu preisen sind alle, die mir folgen.

33Hört genau hin, damit ihr klug werdet! Schlagt die Erziehung nicht in den Wind!

34Glücklich ist der Mensch, der auf mich hört – der Tag für Tag an meiner Haustür wacht und am Türpfosten auf mich wartet.

35Wer mich findet, hat Leben gefunden, und der Herr hat Gefallen an ihm gefunden.

36Wer mich aber verfehlt, schadet sich selbst. Alle, die mich hassen, lieben den Tod.

Herr, regiere du unser Hören und unser Reden durch deinen Heiligen Geist. Amen.

 

In diesen Tagen macht es uns die Natur leicht, über ihre bunten Farben zu staunen, ihre Kraft zu bewundern.  Nicht umsonst heißt dieser Sonntag „Jubilate“. Jubelt über die Schöpfung, ruft uns der Psalmbeter zu. Und so geht auch unsere Rednerin Frau Weisheit zunächst auf ganz erstaunliche Weise auf die Schöpfung ein. Sie spricht davon, dass sie selbst das erste Schöpfungswerk Gottes war – noch bevor er irgendetwas anderes ins Sein rief, gab es sie, die Weisheit. Sie war und ist fortan immer dabei. Bevor es die Merr gab und die Berge, bevor es trockenes Land gab und noch nicht einmal den Staub – die Weisheit war dabei. Auch als Gott den Himmel macht und alles, was auf dem Erdkreis ist. Fröhlich war Frau Weisheit dabei, als Handwerkerin stand sie Gott zur Seite. Das bestätigt auch der Psalmbeter, wenn er folgendes Loblied auf die Schöpfung anstimmt: „HERR, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet.“ (Ps 104,24)

Wie schön Frau Weisheit das alles beschreibt. Dieser Text ist fast so schön wie das, was er beschreibt.

Aber dann heißt es: „Hört auf mich!“ (V. 32) Es geht darum, der Weisheit zu folgen, selbst weise zu handeln und immer wieder nach Weisheit zu suchen.

Wie man nicht weise handelt – dafür gibt es genug Beispiele. Auf die will ich gar nicht weiter eingehen. Wer nicht weise handelt, so sagt die Weisheit, schadet sich selbst. Der liebt den Tod, also alles, was dem Leben nicht dient. Dazu zählen für mich Krieg und Gewalt und Hass und Selbstsucht und vieles andere, was Menschen kaputt macht und zerstört.

Aber wie werde ich weise?

Das ist die Kernfrage, liebe Gemeinde? Wie finde ich Weisheit? Was ist das überhaupt „weise“?

Weisheit ist nicht gleichzusetzen mit kognitiver Intelligenz. Wer schlau ist, ist nicht automatisch weise. Weisheit geht viel weiter. Sie hat mit Erfahrung zu tun und mit Klugheit des Herzens. Sie hat mit Liebe zu tun und mit der Fähigkeit, andere in den Blick zu nehmen und verantwortlich zu handeln.

Die Bibel, besonders die Zehn Gebote, können uns gute Ratgeber sein, wie wir weise handeln und entscheiden können. Letztlich aber ist Weisheit nichts, was wir wie ein Etappenziel erreichen könnten. Weisheit zeigt sich immer wieder neu und ist auch immer wieder neu zu suchen.

Wer mich findet, hat Leben gefunden (V. 35). Wie finde ich dich, Weisheit? Vielleicht so:

Ich trete einen Moment zurück, nehme wahr, werde still. Vielleicht gelingt es mir, mich mit Gott zu verbinden. Bevor ich etwas tue, überlege ich mir den nächsten Schritt. Und wenn ich etwas getan habe, überlege ich mir, ob ich weise gehandelt habe. Wenn nicht, geht es beim nächsten Mal hoffentlich besser. Ich gestehe mir und anderen zu, Fehler zu machen. Ich nehme Hilfe an und helfe anderen – so wie ich es brauche und kann. Ich laufe nicht weg, wenn es schwierig wird. Das alles können Momente der Weisheit sein.

Wenn wir mit dieser Weisheit durchs Leben gehen, dann hat das Folgen. Beim Anblick der Schöpfung gerate ich ins Staunen. Ich sehe die prächtigen Bäume, aber auch das kleine Blümchen, was sich durch die Mauerritzen quetscht. Sind das Leben und die Kraft, die in ihm steckt, nicht beachtenswert? Ich möchte alles dafür tun, es zu schützen. Denn wir haben nur diese eine Welt, in der wir leben.

Wenn ich mit Weisheit durchs Leben gehe, werde ich demütig anlässlich des Kriegsendes vor 80 Jahren. „Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen!“, hat der damalige Bundeskanzler Willy Brandt gesagt. Das ist 55 Jahre her. Wie zerbrechlich das Leben ist, wie furchtbar die Auswirkungen des Krieges spüren Menschen heute wieder. Umso mehr möchte ich für den Frieden eintreten und nicht aufhören zu beten, zu hoffen und zu handeln, damit Friede wird.

Zur Weisheit gehört, Vertrauen zu entwickeln und gelassener zu werden. Dazu passt das berühmt Gebet, das Reinhold Niebuhr zugeschrieben wird:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Amen.

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