Liebe Gemeinde!
Was passiert am Ende der Zeit? Das ist eine dieser ganz großen Fragen, die für uns einfach unbeantwortbar sind. Und doch sind es Fragen, die gestellt werden und das schon seit Anbeginn. Denn alles, was einen Anfang hat, muss doch auch ein Ende haben. So ist zumindest unsere Logik in Kategorien von Raum und Zeit.
Die Frage nach dem, was am Ende der Zeit passiert, ist unbeantwortbar. Und doch können wir uns einer möglichen Antwort annähern. Dabei helfen uns die Texte der Bibel.
Es sind Texte von Menschen, die Erfahrungen mit Gott auf ganz unterschiedliche Weise gemacht haben. Manche berichten uns von Träumen und Visionen, die sie hatten. So auch der Prophet Jesaja im heutigen Predigttext. Seine Vision handelt von dem, was in den letzten Tagen passieren wird. Am Ende der Zeit wird es eine große Wallfahrt geben, eine Wallfahrt zum Hause Gottes, zum Berg Zion.
Wallfahrten waren in alttestamentlicher Zeit nichts Außergewöhnliches und auch Jesus kannte Wallfahrten nach Jerusalem. So zog es Tausende von Menschen zum Passahfest in jedem Jahr nach Jerusalem. Dort am Tempel opferte man, traf sich mit der ganzen Familie und feierte die Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten. Erst als es den Tempel nicht mehr gab – er wurde im Jahr 70 n. Chr. zerstört – gab es keinen zentralen Ort mehr, an dem die Menschen zur Anbetung Gottes zusammenkamen. Es gab keine Opfer mehr und kein Allerheiligstes. Das Haus Gottes war zerstört. Stattdessen wurden immer mehr Synagogen eingerichtet, überall auf der Welt, die seitdem als Gotteshäuser dienen. Und so ist die Sehnsucht nach einer Wallfahrt, einem großen Zusammenkommen in der heiligen Stadt Jerusalem seitdem im Judentum lebendig. Am jüdischen Neujahrsfest „Rosch Ha Schanah“ ist ein üblicher Gruß: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“
Auch im Christentum kennen wir Wallfahrten. Besonders unsere katholischen Schwestern und Brüder sind mit dieser Art von Frömmigkeit vertraut. Wallfahrten haben immer Orte zum Ziel, an denen sich etwas ganz Besonderes ereignet hat. Eine der bekanntesten Wallfahrtsorte ist sicherlich der Ort Lourdes in Frankreich. Schon 1858 erschien dort einem Mädchen mit Namen Bernadette mehrmals die Jungfrau Maria. 14 Tage nach diesen Erscheinungen soll an dem Ort, an dem Bernadette Maria sah, eine Quelle entsprungen sein, die als heilkräftig gilt. Hunderte von Menschen versammeln sich täglich in Lourdes, um durch das Wasser der Quelle geheilt zu werden. Die Hoffnung auf Heilung und der Glaube an die Wundertätigkeit der Maria lässt sie oft tagelange Reisen auf sich nehmen. Dort angekommen treffen sie auf Gleichgesinnte, Menschen, die ebenfalls durch eigene Krankheit oder die Krankheit ihrer Lieben betroffen sind und gleiche Hoffnungen hegen.
Über die katholische Wallfahrtpraxis mag man verschiedener Meinung sein, eines aber zeigt sich bei den Wallfahrten ganz deutlich: Sie sind ein soziales Ereignis, das auf religiösem Fundament steht. Ob in damals in Jerusalem oder heute in Lourdes oder an vielen anderen Wallfahrtsorten der Welt: Hier kommen Menschen zusammen, die auf der Suche nach etwas sind, auf der Suche nach der Begegnung mit Gott, auf der Suche nach Stärkung ihres Glaubens, auf der Suche nach Heilung und Ganzsein.
Kehren wir zurück zum Predigttext.
Die Wallfahrt, die Jesaja beschreibt, hat einen großen Unterschied zum bisher Gesagten. Bei der Wallfahrt am Ende der Zeit werden alle Menschen zusammenkommen, nicht nur das Volk Israel, nicht nur Christinnen und Christen, nicht nur die Menschen, die in und um Jerusalem wohnen. Nein, alle Völker dieser Erde werden sich zum Berg Zion, zum Haus Gottes aufmachen und dort zusammenkommen.
Und was wird dort passieren?
Gott wird an diesem Tag zu allen Menschen sprechen. Er wird seine Weisung geben, er wird eine Ordnung erlassen, damit alle Menschen in Frieden und Gerechtigkeit miteinander leben. Es geht hier nicht um Mission, dass alle den gleichen Glauben annehmen und sich dazu bekennen. Was hier passiert ist viel allgemeiner: Es geht um gegenseitige Verständigung, um Begegnung, um ein friedliches und gerechtes Zusammenleben. Dieser urmenschlichen Sehnsucht wird an diesem Tag am Ende der Zeit Rechnung getragen. Dann wird sich diese Sehnsucht erfüllen.
Gerade in diesen Tagen ist diese Sehnsucht wieder in vielen Menschen wach. Es gibt so viel Unfrieden in unserer Zeit. Ich möchte heute Morgen darauf verzichten, all die Konflikte aufzuzählen, die unsere Welt im permanenten Krisenmodus halten. Die meisten von uns dürften bestens informiert sein. Und schnell stellt sich wieder eine unbeantwortbare Frage: Wie geht es weiter? Was wird die Zukunft bringen?
Ohnmächtig fühle ich mich, wenn ich daran denke. Es gehen mir Gedanken durch den Kopf: „Was kann ich schon tun?“, „Eigentlich gar nichts!“. „Was hab ich schon zu sagen, angesichts der Herren Puten und Trump und all der Mächtigen in dieser Welt?!“
Zu diesem Denken hat Jesaja etwas Entscheidendes gesagt. Wir sollen uns der Ohnmacht nicht hingeben. Nein, auch wir können etwas tun, indem wir uns aufmachen, auf den Weg zur letzten großen Wallfahrt.
Jetzt sollt ihr nicht alle gleich für morgen ein Flugticket nach Jerusalem buchen. Das wäre in unseren Zeiten auch nicht gerade ratsam, immerhin gibt es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes.
Ich verstehe diese Zukunftsvision Jesajas als ein Bild, das uns Mut machen will, auf Gott und seine Gerechtigkeit zu vertrauen. Deshalb machen wir uns heute auf den Weg des Glaubens, der zu Friede und Gerechtigkeit führt. „Der Glaube kann Berge versetzen.“ – Wenn wir dieses Sprichwort in diesem Sinne verstehen, dann können auch wir heute hier mit unseren Möglichkeiten etwas für Frieden und Gerechtigkeit tun. Wir können unseren Standpunkt gegenüber Anderen in Gesprächen deutlich vertreten. Wir können selber versuchen, Frieden und Gerechtigkeit soweit das möglich ist in unserem Leben Raum zu geben. Das ist nichts, was sich an einem Tag, mit einem Gespräch oder einer Begegnung erledigen ließe. Das ist eine lebenslange Aufgabe, eine Lebenseinstellung, zu der wir hier aufgerufen werden. Wer so lebt, sich das immer wieder bewusst macht, geht wichtige Schritte hin zur großen Völkerwallfahrt, die stattfinden wird am Ende der Zeit.
Die Aussicht des Jesaja ist ein Traum: Da werden Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet und Spieße zu sicheln. Dieser viel zitierte Satz ist zum Motto der christlichen Pazifisten geworden. Mir fällt bei diesem Satz eine Beobachtung aus der Küche meiner Oma ein:
In dem großen Schrank neben dem Herd waren alle Kochtöpfe und weitere Utensilien verstaut. Als ich einmal zusammen mit meiner Oma am Herd stand und Nudeln abgießen wollte, gab sie mir eine Seihe, die irgendwie eine merkwürdige Form hatte. „Was ist das denn für ein komisches Ding?“, fragte ich sie. „Ach, die gab’s direkt nach dem Krieg. Da hat man eben aus Nichts etwas gemacht. Das war mal ein alter Stahlhelm. Da sind Löcher rein gemacht worden und Henkel dran und jetzt leistet der mir immer noch gute Dienste in der Küche.“ Ich war beeindruckt.
Schwerter zu Pflugscharen, Spieße zu Sicheln, Stahlhelme zum Nudeln Abgießen.
Der Krieg und die Gewalt wird ein Ende haben. Das verspricht uns Gott. Es wird eine Verständigung zwischen allen Völkern dieser Erde geben. Dann wird niemand mehr lernen, Waffen auf jemand anders zu richten und überall wird Frieden und Gerechtigkeit herrschen.
Amen.