Karfreitagspredigt über Lukas 23,33-49 von Volker Strauch

Predigt Lukas 23,33-49 am Karfreitag 2022 in der Johanneskirche Pirmasens

Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.

34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.

35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.

36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig

37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!

38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.

39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!

40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist?

41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.

42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!

43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde,

45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.

46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.

47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen!

48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.

49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.

 

„Hilf dir selbst!“, rufen sie. Und Jesus zieht sich die Nägel aus den Händen, steigt herunter, nimmt sein Gewand und geht einfach weg. Geht weiter, als wäre nichts gewesen. Geht weiter und hat es ihnen allen bewiesen, dass er Gottes Sohn ist.

 

„Hilf dir selbst!“, rufen sie. Aber Jesus hängt am Kreuz und geht da nicht weg. Angenagelt und festgebunden bleibt er, bis er stirbt. Er bleibt und hält aus. Er hat Schmerzen und wartet, dass es zu Ende geht.

Jesus hängt am Kreuz und bis er endlich von allem erlöst ist, scheint eine ewig lange Zeit zu vergehen. Nicht mal in seiner letzten Stunde lassen sie ihn in Ruhe! Was muss er sich nicht alles ansehen und anhören, was um ihn herum passiert? Wie sie Lose ziehen und auf das bisschen gieren, dass ihm gehört hat. Wie sie zu ihm schauen und ihre Kommentare abgeben müssen.

Anstatt dass es ihnen die Sprache verschlägt. Anstatt dass sie ganz still werden vor Mitgefühl oder Leid oder Schrecken oder Schuld oder sonst einem menschlichen Gefühl, das nicht ihre Unmenschlichkeit zeigt.

Nein. Sie reden und jeder weiß was zu sagen. Es scheint ein furchtbares Geplapper zu sein, da unterm Kreuz. Und einzelne Worte stechen besonders hervor, weil sie besonders gehässig und boshaft sind. Von den Oberen, den Soldaten, sogar von einem von denen, die auch gekreuzigt werden.

„Hilf dir selbst!“, rufen sie und haben dabei leicht reden. „Hilf dir selbst!“. Sie lachen und spotten und fühlen sich im Recht.

Denn ist das nicht der endgültige Beweis, dass er ein Lügner ist? Einer, der ausgenutzt hat, dass die Mengen an seinen Lippen hingen. Einer, dem nun endlich das Handwerk gelegt wurde.

„Hilf dir selbst, wenn du wirklich Gott bist.“, spotten sie, weil sie sehen, dass er es nicht tut, sondern bleibt.

Gott hilft sich nicht selbst. Gott hängt am Kreuz und antwortet ihnen nicht.

Jesus hängt am Kreuz und geht da nicht weg. Angenagelt und festgebunden bleibt er, bis er stirbt. Wie sollte er auch gehen? Wie könnte er auch gehen?

Könnte er? Sollte er? Warum tut er es nicht einfach: Steht auf, nimmt sein Kreuz und geht…?

Er tut es einfach nicht.

Gott tut nicht, was Menschen meinen, dass er tun müsste, weil er es doch kann, allmächtig, ewig, der Herr über die Welt.

Wie leicht müsste es doch eigentlich für ihn sein, für ihn, der ja auch weiß, wie man Wunder tut?

 

Ich spotte nicht und der Karfreitag verschlägt mir in jedem Jahr eher die Sprache beim Predigtschreiben, beim Sitzen in der Kirche oder beim Lesen dieser großen Geschichte, als dass ich Lust zu großen, klugen Reden hätte. Aber auch ich bleibe daran hängen. Dreimal unterm Kreuz laut ausgesprochen ist es mindestens noch einmal mehr in mir drin ziemlich laut. Das „Hilf dir selbst!“.

Mach es doch anders, Gott! Nicht so unverständlich für uns und zu schwer um es anderen zu erklären: Unser Gott ohnmächtig, verlassen, voller Schmerzen sterbend. Ein Gott, mit dem man nur Mitleid haben kann.

Kein Wunder, dass sich viele abwenden und keinen Grund mehr sehen, ihre Kirchensteuern nicht zu zahlen.

Kein Wunder, dass so viele Abwinken: „Religion? Nein. Die brauch ich nicht. Ich komm auch so ganz gut klar.“

Gott macht nicht, was man von ihm erwartet. Gott spielt nicht nach unseren Spielregeln.

„Hilf dir selbst!“, rufen sie, aber er hält aus. Die Schmerzen, das Sterben und all den Spott.

Er macht es sich nicht leicht. Er macht es uns nicht leicht.

Er zeigt, dass es Zeiten gibt, in denen man nicht einfach weglaufen kann.

Kann er nicht oder will er nicht? Auf jeden Fall bleibt er und erlebt, was so viele nach ihm auch erleben: Ganz anders, aber doch ganz ähnlich.

„Hilf mir selbst, Gott!“. Rufen sie meist unausgesprochen an unbedeutenden Orten, zu Hause am Küchentisch oder nachts in ihren Betten. „Hilf mir, Gott! Du kannst das doch. Warum hilfst du nicht?“, beten manche trotzig, andere verzweifelt. Hier bei uns oder gar nicht so weit entfernt in Kellern sitzend, während oben geschossen wird. Sie beten in den Zügen raus dem Kriegsgebiet und beten angekommen in den fremden Städten, in denen sie unterkommen. Wie lange? Weiß keiner. Wie auch, wenn du nicht kommst und hilfst, Gott!

Aber Gott kommt nicht. Nicht mit Blitz und Donner, nicht laut und nicht leise, legt er denen das Handwerk, die zerstören oder töten oder Zerstörung oder Mord befehlen.

Gott verändert die Geschichte nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit einem Bild, das schwer oder gar nicht zu verstehen ist.

Jesus hängt am Kreuz und geht da nicht weg. Angenagelt und festgebunden bleibt er, bis er stirbt. Gott leidet in mitten der Trümmer, in den Schutzkellern und dort wo sich Feind und Feind gegenüberstehen.

Gott macht es sich nicht einfach. Er macht es uns nicht einfach.

Gott bleibt. Wenig herrlich, nicht strahlend, von Allmacht nichts zu sehen und von Ewigkeit auch nichts, in diesen letzten Stunden am Kreuz genau wie in den neusten Stunden von so viel Menschenleid.

 

Gott ist genau wie der elendste Mensch. Gott ist der elendste Mensch. Damals am Kreuz. Einmal geschehen und bis heute mehr als ein Zeichen für uns: Ein Gott, der es sich nicht leichtmacht, der es mir nicht leichtmacht. Aber ein Gott, der jedes Leid versteht, das wir durchhalten müssen. Weil er selbst durchgehalten hat. Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

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