Predigt am 17. Sonntag nach Trinitatis über Jesaja 49,1-6 von Kerstin Strauch

Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merkt auf! Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war.

Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt.

Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will.

Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz, wiewohl mein Recht bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott ist.

Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat, dass ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde, – darum bin ich vor dem HERRN wert geachtet und mein Gott ist meine Stärke –,

er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.

 

Liebe Gemeinde,

ein Satz ist es, der mir beim Lesen des heutigen Predigttextes sofort auffiel, weil ich dachte: „Ja, genauso geht es mir oft. Das stimmt!“ Wer diesen Satz ausspricht, ist in der Forschung umstritten. Der heutige Predigttext wird auch als das zweite Gottesknechtslied bezeichnet. Insgesamt vier solcher Lieder finden sich im Jesajabuch. Wer aber ist dieser Gottesknecht? Dazu gibt es mehrere Antwortmöglichkeiten: der Prophet selber, das Volk Israel oder einer aus dem Volk, der Messias, der erwartet wird? Doch egal, wer mit dem Gottesknecht genau gemeint ist, ist dieser Mensch einer, der besonders von Gott erwählt wurde und der konkrete Aufträge bekommt. So auch hier in diesem Text. Er berichtet aus seiner Erfahrung und sagt, wie er sich oft fühlt: „Ich aber dachte, ich arbeite vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz.“ Das ist der Satz, der mir sofort ins Auge gesprungen ist. Denn immer wieder beschleicht auch mich dieses Gefühl. Wie viel Energie und Kraft wird verbraucht mit scheinbar unnützen Dingen? Ausgelaugt und kraftlos geht ein Tag zu Ende und die Frage kommt auf: Wofür habe ich das heute gemacht? Warum mühe ich mich so ab? Was für einen Sinn hat das?

Diese Gedanken sind ganz normal. Sie kommen automatisch immer dann, wenn wir viel Stress ertragen oder unzufrieden sind. Auch wenn ich Gott nahe bin, wenn ich mich als gläubigen Menschen bezeichne, bin ich vor diesen Gefühlen nicht gefeit.

Nun ist dieser Text kein Klagegebet, in dem der Gottesknecht seinem Frust und seiner Resignation Luft macht. Darum geht es hier nicht. Aber hier werden ganz ehrlich Erfahrungen beschrieben, die wir im Glauben machen, ja sogar von einem, der besonders berufen ist. Hier klingt viel Menschliches an und das ist es, was diesen Text uns so nahebringt.

Wie ein Bogen ist das Leben des Menschen, der hier von sich berichtet, eingespannt in Gottes Gegenwart. Von Mutterleibe an, das heißt noch vor seiner Geburt, hat Gott ihn erwählt. Gott hat den Menschen im Bauch der Mutter bereitet. Er ruft die Menschen ins Leben und nimmt sie an, noch bevor Mutter oder Vater vom werdenden Leben erfahren.

Dass Gott da ist, ist immer wieder spürbar. Allerdings ist dieses Empfinden für Gottes Gegenwart von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Der Prophet Jesaja hörte Gottes Stimme in einem Sausen oder im Gebet oder im Traum. Aber Gott hat viele verschiedene Möglichkeit, uns zu begegnen.

Viele Menschen erleben im Gebet, in der Stille, in der Meditation Gottes Geist. Andere begegnen ihm gerade da, wo das Leben pulsiert, in der Begegnung mit anderen, im Miteinander. Manchmal ist es auch gerade ein Moment, in dem wir alles andere, aber nicht Gott erwarten, wo er uns überrascht, wo sein Geist uns überkommt. Eine Erfahrung ist aber allen gemeinsam: Wo wir Gott begegnen, wo wir uns ihm zuwenden, da vertrauen wir auf seine Gegenwart. Da erwarten wir seinen Beistand.

Ein starkes Bild für Gottes Fürsorge und Begleitung entwirft der heutige Predigttext. Es heißt dort: Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt. Gott hat den Gottesknecht ausgestattet mit allem, was er für sein Leben braucht. Er hat ihn zu einem spitzen Pfeil gemacht. Ein Pfeil, der sein Ziel erreicht, der gut gearbeitet ist. Und Gott hat diesen Pfeil in seinem Köcher verwahrt. Er wirft den Pfeil nicht weg, schießt ihn nicht ab, sondern verwahrt ihn in seinem Köcher. So sind Pfeil und Köcher verbunden. Der Köcher trägt den Pfeil, umgibt ihn und schützt ihn, damit er nicht verloren geht.

Auch wenn dieses Bild einer Waffe für uns heute weiter weg ist als für die Zeitgenossen Jesajas, erkennen wir doch gut, worum es geht. Gott hat uns erschaffen. So wie wir sind, hat er uns gut gemacht. Er hat sich etwas dabei gedacht. Und damit wir nicht kaputtgehen, bewahrt er uns wie in einem Köcher. Da sind wir geschützt, aber nicht eingesperrt.

Wie ein Pfeil haben wir ein Ziel. Doch an dieser Stelle endet das Bild für mich. Denn ein Pfeil ist letztlich ein Kriegsgerät. Ein Pfeil, der trifft, tötet, zerstört, verletzt. Und das ist nicht, was Gott will. Da bin ich mir sicher.

Ein Ziel aber haben wir trotzdem. Unser Leben hat ein Ziel, auf das wir zugehen. Dieses Ziel heißt Gottes Wirklichkeit. Auf diese Wirklichkeit gehen wir zu, seitdem wir getauft sind. Mit der Taufe haben wir diese Richtungsangabe mit auf den Weg bekommen. Auf dem Weg hin zu diesem Ziel erleben wir viel. Manchmal sind wir im Köcher verwahrt. Da fühlen wir uns sicher und geborgen. Manchmal verlieren wir auch das Ziel aus den Augen und suchen andere Wege. Dann hilft es, sich an Gott zu wenden, um sich nicht zu verirren.

Es gibt auch Zeiten, da erscheint uns vieles nutzlos und einfach nur mühsam. Doch das heißt in Gottes Augen nicht, dass unser Leben gescheitert ist.

Nein – gerade in dem Moment, wo der Frust am größten ist, wo der so genannte Gottesknecht ausspricht, was er fühlt, obwohl sein Kopf es besser weiß, gerade da wiederholt Gott seinen Auftrag an ihn und weitet ihn sogar aus. Gott hat Großes mit ihm vor. Nicht nur den Menschen aus dem Volk Juda, nicht nur den Angehörigen Israels soll er Gottes Gute Nachricht überbringen. Er soll zu allen Menschen gehen. Möglichst viele Orte auf dieser Erde soll er aufsuchen und den Menschen von seinem Gott erzählen.

Wer ist der Gottesknecht, liebe Gemeinde? Darauf gibt es wohl mehr als eine Antwort. Vieles von dem, was den Gottesknecht ausmacht, finden wir in Jesus Christus. Er ist zu den Menschen gegangen, zu den Juden, aber auch zu anderen – davon haben wir vorhin in der Lesung gehört. Gottesknecht – dieses Wort klingt merkwürdig und fremd. Wenn wir darunter aber Dienerinnen und Diener Gottes verstehen, sind dann nicht auch wir gemeint?

Und so wie der Gottesknecht zu allen Völkern gesandt wurde, bis an die Enden der Erde, so werden auch wir von Gott gerufen. Er hat ein Ziel für jeden und jede von uns.

Egal zu welchem Volk, zu welchem Erdteil wir gehören. Seine Liebe umfasst alle Menschen.

Manchmal sind wir mit unserer Kraft am Ende. Manchmal drücken Sorge und Resignation. Doch eines ist gewiss: Unser Leben ist nicht unnütz, denn Gott liebt uns. Er ist für uns da alle Tage bis ans Ende der Welt und darüber hinaus. Wir sind wie Pfeile, geborgen in Gottes Köcher. Daher ist unser Glaube der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

2 Gedanken zu „Predigt am 17. Sonntag nach Trinitatis über Jesaja 49,1-6 von Kerstin Strauch“

  1. Sie haben einen sehr ansprechenden Text verfasst mit sehr viel Intuition und Gefühl. Vielen Dank dafür! Ich denke dass es Zeit ist, dass wir als Frauen einer Gemeinde uns viel mehr zutrauen sollten. Wie lange sollen Frauen in der Religion aus leitenden Ämtern ferngehalten werden? Die Diskriminierung von Frauen sollte im neuen Zeitalter, das erkennbar anbricht, ein Ende finden. Feminusmus ist mehr als Gleichberechtigung für Frauen. Sie ist Befreiung aus aller Bevormundung bestimmter Eliten, die alle Menschen knechten. Bei uns laufen immer noch naiv-gutgläubige Christen mit Maske zum beten in die Kirche? Was ist aus uns Christen geworden, die doch Licht für andere sein sollen? Es ist keine Kraft in unserer Gemeinde zu spüren. Wo ist der Glaube der Berge versetzen kann??? In der PLandemie, der Coronakrise waren alle die ich kenne, nur obrigkeitshörig, gehorsam wie es sich für Christen gehört-da stimmt doch was nicht? Will Gott solche feigen Unterwürfigen ohne Rückrat? Ich frag für uns alle. Gruß Hannah

    Antworten
    • Vielen Dank für Ihren Kommentar, liebe Hannah. Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass Frauen ebenso in leitenden Ämtern tätig sein sollten wie Männer. In unserer evangelischen Landeskirche ist das möglich und dafür bin ich dankbar. Leider trauen sich noch viel zu wenig Frauen Führungspositionen aus ganz verschiedenen Gründen zu.
      Was Ihre Erfahrung in der Pandemie betriff, so denke ich, dass viele verschiedene Wege gab, die Gemeinden gegangen sind. Wir haben in der Johanneskirchengemeinde immer versucht, miteinander in Kontakt zu bleiben, füreinander und miteinander zu beten, uns im digitalen Raum zu treffen. Dafür brauchen wir immer wieder Menschen, die mit dem Geist des Evangeliums angesteckt unterwegs sind. Herzliche Grüße, Kerstin Strauch

      Antworten

Schreibe einen Kommentar