Predigt am 21. Sonntag nach Trinitatis (29.10.2023) über 1. Mose 13,1-12 von Kerstin Strauch

Liebe Gemeinde,

Freunde kann man sich aussuchen, Familie nicht. Das ist so eine Redensart, die gerne benutzt wird, wenn es um schwierige Familiengeschichten geht. Niemand von uns hat sich die Familie ausgesucht, in die er oder sie geboren wurde. Viele von uns haben Geschwister. Andere nicht. Auch das haben wir uns nicht ausgesucht.

Abraham, der damals noch Abram hieß, hatte auf Gottes Geheiß hin seine Heimat verlassen und war nach Kanaan gezogen. Dieses Land hatte Gott ihm verheißen und so baute Abram dort Altäre für Gott. Doch schon bald kam eine Hungersnot über das Land Kanaan und Abram flüchtete mit seiner Familie nach Ägypten. Dort ging es ihnen gut. Abram hatte seine Frau Sarai als seine Schwester ausgegeben. Sarai gefiel dem Pharao und er überhäufte sie und ihre Familie mit Geschenken. Schließlich nahm er sich Sarai zur Frau. Doch die ganze Geschichte kam raus und der Pharao war außer sich. Er schickte Sarai zu Abram zurück. Und der ganze Tross setzte sich wieder in Bewegung Richtung Kanaan. Dort angekommen, ereignete sich folgendes. Ich lese den Predigttext aus dem 1. Buch Mose, Kapitel 13:

So zog Abram herauf aus Ägypten mit seiner Frau und mit allem, was er hatte, und Lot mit ihm ins Südland. Abram aber war sehr reich an Vieh, Silber und Gold. Und er zog immer weiter vom Südland bis nach Bethel, an die Stätte, wo zuerst sein Zelt war, zwischen Bethel und Ai, eben an den Ort, wo er früher den Altar errichtet hatte. Dort rief er den Namen des Herrn an.

Lot aber, der mit Abram zog, hatte auch Schafe und Rinder und Zelte. Und das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten; denn ihre Habe war groß und sie konnten nicht beieinander wohnen. Und es war immer Zank zwischen den Hirten von Abrams Vieh und den Hirten von Lots Vieh. Es wohnten auch zu der Zeit die Kanaaniter und Perisiter im Lande. Da sprach Abram zu Lot: Es soll kein Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder. Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken.

Da hob Lot seine Augen auf und sah die ganze Gegend am Jordan, dass sie wasserreich war. Denn bevor der Herr Sodom und Gomorra vernichtete, war sie bis nach Zoar hin wie der Garten des Herrn, gleichwie Ägyptenland. Da erwählte sich Lot die ganze Gegend am Jordan und zog nach Osten. Also trennte sich ein Bruder von dem andern, sodass Abram wohnte im Lande Kanaan und Lot in den Städten jener Gegend. Und Lot zog mit seinen Zelten bis nach Sodom.

Herr, regiere du unser Hören und unser Reden durch deinen Heiligen Geist. Amen.

Es müssen enge Familienbande gewesen sein, die Abram veranlasst hatten, seinen Neffen Lot mitzunehmen. Lot war lange kein Kind mehr, ein erwachsener Mann, mit eigener Familie, mit eigenen Knechten und Mägden und einer großen Viehherde. Doch anderes als Abram hatte Lot keine Verheißung von Gott bekommen. Er hatte sich auf seinen Onkel Abram stets verlassen.

Sie haben schon ziemlich viel durchgemacht, als es zum großen Krach kommt. Die Hirten streiten sich um das Weideland. Außerdem war das Land nicht unbewohnt. Auch die Kanaanäer wollten ihre Rechte geltend machen und haben sich noch mitgemischt bei diesem Konflikt. Da macht Abram den Vorschlag, sich zu trennen. Er will ein Ende des Zanks und so schlägt er vor, dass Lot sich den Bereich aussuchen soll, wo er künftig leben will. Lot wählt das fruchtbare Gebiet am Jordan und Abram bleibt, wo er ist. Auf jeden Fall vorerst.

Diese Geschichte, liebe Gemeinde, ist eine schöne Geschichte aus dem Kindergottesdienst. Aber erst seit der Perikopenrevision vor fünf Jahren, ist sie als Predigttext eingeführt worden.

Das Ringen um Frieden ist das zentrale Thema dieses Sonntages. Es ist das zentrale Thema unserer Zeit. Noch lange schweigen die Waffen in der Ukraine nicht. 30.000 Einwohner zählte einst die Stadt Awdijiwka im Osten der Ukraine. In den letzten Tagen steht sie unter schwersten Gefecht. Noch 1.000 Menschen leben in der hart umkämpften Stadt. Ein Ende der Kämpfe ist nicht in Sicht. Zugleich stehen wir unter Schock angesichts des Krieges im Nahen Osten. In Israel und Palästina sterben täglich Menschen. Die Angehörigen sind verzweifelt. Die Gewalt nimmt zu, auch in Deutschland. Fast in den Hintergrund rücken da die Kampfhandlungen im Sudan, in Syrien, in Afghanistan. Sie sind kaum noch eine Schlagzeile wert in diesen Zeiten. Schlagzeilen hingegen machte in dieser Woche der UN-Generalsekretär Guterres. Er warf nach den Terrorangriffen der Hamas der israelischen Regierung vor, auch sie habe das Völkerrecht verletzt. Die Angriffe auf Gaza seien in diesem Umfang nicht zu rechtfertigen. Angesichts all dieser furchtbaren Entwicklungen steht die Frage im Raum: Wie kann Frieden gelingen? Ist Frieden überhaupt möglich?

Und wir wissen: Frieden beginnt schon im ganz Kleinen. Er beginnt da, wo es Zank gibt unter Familienangehörigen und der Streit kein Ende findet. Nun hören wir, wie Abram und Lot es machten und ich möchte dabei die wesentlichsten Punkte herausgreifen:

  1. Sie erkennen, dass sie Brüder sind. Ihre Verbindung ist stärker als ihr Hass.
  2. Sie wollen Frieden und keinen Streit.
  3. Sie suchen nach einer Lösung und gehen dabei Kompromisse ein.
  4. Sie handeln danach.

Das sind vier Punkte – so eine Art „Gebrauchsanweisung“ für den Frieden.

Dabei ist die Geschichte von Lot und Abram keinesfalls banal und einfach. Sie hat jede Menge Zündstoff, Ballast aus der Vergangenheit, gespickt mit Ängsten und Zukunftssorgen. Abram, der ja immer als großes Vorbild im Glauben dargestellt wird, ist keinesfalls fehlerfrei. Er hatte dem Pharao dreist ins Gesicht gelogen, als er Sarai als seine Schwester ausgegeben hatte. Er hatte seiner eigenen Taktik vertraut, statt sich auf Gottes Verheißung zu verlassen. Und Lot? Der hat erstmal ganz klar das bessere Teil für sich gewählt. Er zieht in die fruchtbare Jordanebene.

Genauso ist es auch im Großen: Da sind so viele Interessen, Verletzungen, Erfahrungen aus der Vergangenheit. Und da ist viel Angst.

Ziemlich genau vor 375 Jahren wurde in Münster der so genannte „Westfälische Frieden“ verkündigt. Das war das Ende des grausamen Dreißigjährigen Krieges in Europa. Es war ein langes und zähes Ringen damals. Sehr viele verschiedene Interessenvertreter hatten in Münster und Osnabrück mehrere Jahre verhandelt. Aber sie hatten es geschafft und den Frieden errungen. Stärker als der Hass war ihr Wunsch nach friedlichem Zusammenleben. Sie wollten Frieden. Sie waren bereit, Kompromisse einzugehen und sie handelten danach. Die Bevölkerung braucht allerdings einige Zeit, bis die Angst gewichen war, ob dieser Frieden halten würde. Auch das ist normal, denn Frieden ist zerbrechlich.

Das erfuhren auch Lot und Abram. Einige Zeit, nachdem Lot mit seiner Familie in der Gegend von Sodom angekommen war, brach ein großer Krieg aus und Lot geriet in Gefangenschaft. Davon erfuhr sein Onkel und kam ihm zur Hilfe. Doch immer blieb Lot ein Fremdling in Sodom, wie sich später herausstellte. Dennoch hielt er stets an seinem Glauben fest. Einfach und unkompliziert war es nie. Der Frieden ist zerbrechlich.

Über dem Frieden aber und allem Bemühen steht Gottes Verheißung. Er hatte Abram viele Nachkommen versprochen. Lange hatte er darauf warten müssen, doch seine Beharrlichkeit zahlte sich aus.

Verheißen ist uns Frieden. Das ist die Sehnsucht und alle Kreatur seufzt und sehnt sich danach. Jedes Jahr warten wir im Advent auf den Friedensbringer. Jesus Christus hat gezeigt, wie sich das Böse mit Gutem überwinden lässt. Er hat sich für den Frieden eingesetzt – obgleich wir auch von ihm Geschichten kennen, die von Streit und Zank handeln. Wütend warf der die Tische der Händler im Tempel um. Und wie oft geriet er mit den Schriftgelehrten und Pharisäern aneinander?

Frieden kann erst werden, wenn gut gestritten, miteinander gerungen wurde. Dann hat Frieden eine Chance. Einfach ist es nie – weder im Großen wie im Kleinen. Wie schnell ist ein böses Wort gesagt oder ein Missverständnis hat für Verletzungen gesorgt. Wie schwer ist es, das wieder aus der Welt zu schaffen. Dazu gehört immer der Wille, sich für ein friedliches Miteinander einzusetzen und nicht müde werden. Die Geschichte von Abram und Lot ist eine Freiheitsgeschichte, denn sie zeigt: Wir haben die Wahl. Frieden ist möglich.

Wie das, beschreibt der deutsch-israelische Journalist und Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin in folgendem Gedicht:

Wer Frieden sucht

wird den anderen suchen

wird Zuhören lernen

wird das Vergeben üben

wird das Verdammen aufgeben

wird vorgefasste Meinungen zurücklassen

wird das Wagnis eingehen

wird an die Änderung des Menschen glauben

wird Hoffnung wecken

wird dem anderen entgegenkommen

wird zu seiner eigenen Schuld stehen

wird geduldig dranbleiben

wird selber vom Frieden Gottes leben –

Suchen wir den Frieden?

Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

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