Predigt zum 3. Sonntag nach Epiphanias über Rut 1,1-19a von Kerstin Strauch

In den letzten Monaten waren wir viel im Pfälzer Wald unterwegs. Wir sind vertraute Wege gegangen und haben auch neue ausprobiert. Dabei fiel mir positiv auf, wie viele neue Wege mittlerweile gut ausgeschildert sind. Das macht es leichter für Menschen wie mich, die nicht von klein auf im Pfälzer Wald zu Hause sind.

Dabei ist das ja so eine Sache mit den Wegweisern. Sie geben die Richtung vor und nennen oft auch Ziel und Distanz bis zum Ziel. Was uns aber unterwegs erwartet und ob wir den Weg bis ans Ziel finden werden, können Wegweiser nicht sagen. Und auch das ist eine Erfahrung, die wir immer wieder gemacht haben in den letzten Monaten: Nicht alle Wege sind gleich gut ausgeschildert. So manches Mal waren wir frustriert, wenn Wegweiser fehlten und wir auf Umwege gerieten.

Auf unbekanntem Terrain brauchen wir Wegweiser, Orientierungshilfen, Sicherheiten – so gut es geht. Und trotzdem bleiben die Wege zunächst unbekannt. Wir wissen nicht, wie wir ans Ziel gelangen. Aber der Aufbruch ist geschafft. Und dann geht’s los.

Eine Wanderung auf unbekannten Wegen zu unternehmen, ist etwas Abenteuerliches und Schönes. Manche Aufbrüche sind anders. Sie sind der Not geschuldet. Wenn etwa ein Krieg, eine Hungersnot oder andere Katastrophen das Leben in der Heimat unmöglich machen. Da müssen Menschen aufbrechen, sich auf unbekanntes Terrain begeben, oft nur mit einem ungefähren Ziel, dem Ziel nach Sicherheit und Frieden. So geht es momentan Tausenden von Menschen, die immer noch auf der griechischen Insel Lesbos oder in Kutupalong an der Grenze zu Myanmar ausharren. Letzte Woche hörten wir in den Nachrichten von 9000 Menschen aus Honduras, die mit dem Ziel USA in Guatemala gestoppt wurden. Sie alle bangen um ihr Leben, ihre Kinder, ihre Zukunft.

In der Bibel wird die Geschichte der Familie Elimelech erzählt. Die Familie lebt in der Zeit der biblischen Richter, also ca. 1200 v. Chr. Eine große Hungersnot herrscht im Land Juda. Auf der Suche nach einer neuen Existenz macht sich die sechsköpfige Familie von ihrer Heimatstadt Bethlehem auf den Weg ins Nachbarland Moab. Dort soll es genügend zu essen geben. Sie lassen alles zurück und machen sich auf in eine unbekannte Zukunft. Es geht ums Überleben. Und so kommen Elimelech und seine Frau Rut mit ihren Söhnen und den beiden Schwiegertöchtern an im unbekannten Moab. Moab ist nicht das gelobte Land. Es herrscht keine freundschaftliche Beziehung zu den Nachbarländern. Die Menschen verehren fremde Götter und sind nicht gut auf ihre israelitischen Nachbarn zu sprechen. Die Familie dürfte also keinen leichten Start dort gehabt haben. Und dann passieren auch noch persönliche Katastrophen, wie das Buch Rut berichtet. Ich lese aus dem 1. Kapitel:

Zu der Zeit, als die Richter richteten, entstand eine Hungersnot im Lande. Und ein Mann von Bethlehem in Juda zog aus ins Land der Moabiter, um dort als Fremdling zu wohnen, mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen. Der hieß Elimelech und seine Frau Noomi und seine beiden Söhne Machlon und Kiljon; die waren Efratiter aus Bethlehem in Juda. Und als sie ins Land der Moabiter gekommen waren, blieben sie dort. Und Elimelech, Noomis Mann, starb, und sie blieb übrig mit ihren beiden Söhnen. Die nahmen sich moabitische Frauen; die eine hieß Orpa, die andere Rut. Und als sie ungefähr zehn Jahre dort gewohnt hatten, starben auch die beiden, Machlon und Kiljon. Und die Frau blieb zurück ohne ihre beiden Söhne und ohne ihren Mann. Da machte sie sich auf mit ihren beiden Schwiegertöchtern und zog aus dem Land der Moabiter wieder zurück; denn sie hatte erfahren im Moabiterland, dass der Herr sich seines Volkes angenommen und ihnen Brot gegeben hatte. Und sie ging aus von dem Ort, wo sie gewesen war, und ihre beiden Schwiegertöchter mit ihr. Und als sie unterwegs waren, um ins Land Juda zurückzukehren, sprach sie zu ihren beiden Schwiegertöchtern: Geht hin und kehrt um, eine jede ins Haus ihrer Mutter! Der Herr tue an euch Barmherzigkeit, wie ihr an den Toten und an mir getan habt. Der Herr gebe euch, dass ihr Ruhe findet, eine jede in ihres Mannes Hause! Und sie küsste sie. Da erhoben sie ihre Stimme und weinten und sprachen zu ihr: Wir wollen mit dir zu deinem Volk gehen. Aber Noomi sprach: Kehrt um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? Wie kann ich noch einmal Kinder in meinem Schoße haben, die eure Männer werden könnten? Kehrt um, meine Töchter, und geht hin; denn ich bin nun zu alt, um wieder einem Mann zu gehören. Und wenn ich dächte: Ich habe noch Hoffnung!, und diese Nacht einem Mann gehörte und Söhne gebären würde, wolltet ihr warten, bis sie groß würden? Wolltet ihr euch einschließen und keinem Mann gehören? Nicht doch, meine Töchter! Mein Los ist zu bitter für euch, denn des Herrn Hand hat mich getroffen.

Da erhoben sie ihre Stimme und weinten noch mehr. Und Orpa küsste ihre Schwiegermutter, Rut aber ließ nicht von ihr. Sie aber sprach: Siehe, deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott; kehre auch du um, deiner Schwägerin nach. Rut antwortete: Bedränge mich nicht, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der Herr tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

Als sie nun sah, dass sie festen Sinnes war, mit ihr zu gehen, ließ sie ab, ihr zuzureden. So gingen die beiden miteinander, bis sie nach Bethlehem kamen. (Rut 1,1-19a)

Es kann kaum schlimmer kommen. Zuerst verliert die Familie die Heimat. Im Land Moab dann verliert Noomi ihren Ehemann Elimelech, dann auch noch ihre beiden einzigen Söhne. Was soll sie tun?

Sie ist als Frau in damaliger Zeit unversorgt und auf Hilfe angewiesen. Sie hat keinen Verdienst und sorgt sich zudem auch noch um ihre beiden Schwiegertöchter Orpa und Rut. Eines aber hat sie in all den Jahren nicht verloren: ihren Glauben an Gott. Der hat sie begleitet – auch in die neue Heimat. An ihm hat sie festgehalten all die Jahre lang. Nun ist Gott ihr einziger Halt. Und er eröffnet ihr die Perspektive der Rückkehr nach Bethlehem. Dort ist die Hungersnot besiegt. Sie macht sich auf den Weg. Wieder einmal ein Neuanfang. Im Gepäck hat sie nicht nur ihre Sorgen, sondern auch ihre beiden Schwiegertöchter. Sie sind ihr ans Herz gewachsen. Auch sie haben ihre Männer verloren. Auch sie sind auf Hilfe angewiesen. Aber unterwegs plagen Noomi Zweifel. Ist ihr Weg auch der richtige für ihre Schwiegertöchter? Und so tut sie etwas, was auch wir kennen, wenn wir unterwegs sind: Halt machen. Kurze Pause zum Überlegen. Wo gehe ich hin? Was ist mein Ziel? Wen oder was nehme ich mit?

Wir haben gehört, wie die Geschichte weitergeht: Orpa macht das, was ihr Name auf Hebräisch bedeutet: Sie „kehrt Noomi den Rücken“. Unter Tränen verabschiedet sie sich von ihrer Schwiegermutter und kehrt nach Moab, in ihre Heimat, zurück. Nicht so Rut. Obwohl Noomi sie überreden will, dasselbe zu tun, wehrt sich Rut mit folgenden, berühmten Worten: Bedränge mich nicht, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der Herr tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

Der Mittelteil dieser Rede wird von Paaren oft als Trauspruch gewählt. Dabei geht es hier gar nicht um das Verhältnis von zwei Eheleuten, sondern um die Verbundenheit und Loyalität zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter. Rut will bei Noomi bleiben, auch wenn sie anders ist. Rut hat eine andere Nationalität, eine andere Familiengeschichte, sie ist mit anderen religiösen und kulturellen Überzeugungen groß geworden. Aber all das soll sie nicht von Noomi trennen. Sie bekennt sich zu ihrer Schwiegermutter und damit auch zu dem Land, in das die beiden gehen werden, zu dem Volk, zu dem sie gehören wird und schließlich zu Gott, der fortan auch ihr Gott sein soll. Noch nicht einmal der Tod wird sie abbringen von dieser Entscheidung.

Und was sagt Noomi dazu? Das wird uns nicht überliefert. Nur dass sie aufhörte, auf sie einzureden und sie zuließ, mit ihr zu gehen. Die beiden wagen den Neuanfang gemeinsam. Und kommen an in Bethlehem. Wer die Geschichte nicht kennt, dem sei verraten: Sie geht gut aus.

Dieser Text erzählt uns die Geschichte zweier Menschen, die zusammenleben, eine gemeinsame Existenz aufbauen, auch wenn sie nicht alle Überzeugungen teilen. Das kennen wir auch: Viele Paare teilen wesentliche Überzeugungen nicht. Bei den meisten Brautpaaren ist das so. Der eine ist überzeugter Christ, der andere eher ein Agnostiker. Da müssen Fragen diskutiert werden, wie: Welche Bedeutung hat eine kirchliche Trauung für uns? Lassen wir unsere Kinder später taufen? Was ist, wenn ich tot bin? Wo komme ich hin? Was glaube ich?

Rut und Noomi lehren uns, dass der gemeinsame Weg gelingen kann – in Respekt und Geduld und sicher auch mit Liebe. Die beiden kommen an in Bethlehem. Ihr Leben wird bewahrt und mehr noch: Rut wird zur Urmutter des späteren Königs David. Damit steht sie auch in der Ahnenreihe von Jesus.

Die Geschichte von Rut und Noomi ist auf verschiedenen Ebenen lehrreich und interessant: Sie zeigt, dass niemand der Weg zu Gott verweigert wird – egal welche Herkunft, welches Geschlecht oder welche Vorgeschichte er oder sie hat. Sie erzählt, wie wichtig Respekt und Loyalität sind und dass Entscheidungen auf dem Weg immer wieder neu getroffen werden müssen.

Schließlich macht sie deutlich, dass es Geduld und Vertrauen braucht, um ans Ziel zu kommen. Und manchmal das Ziel schon dadurch erreicht ist, dass wir gemeinsam unterwegs sind, uns beistehen und stärken, unseren Glauben teilen und uns trösten.

So wird diese Geschichte zum Wegweiser für uns. Sie weist weit über das hinaus, was gerade ist, und zeigt, was wirklich wichtig ist: Toleranz und Liebe, Vertrauen und die Bereitschaft, immer wieder aufzubrechen, Altes loszulassen und Neues zu wagen.

Amen.

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