Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im achten Kapitel des Lukasevangeliums. Ich lese die Verse 4-8:
Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete [Jesus] in einem Gleichnis:
Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf.
Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte.
Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s.
Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht.
Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!
Liebe Gemeinde,
ein berühmtes Gleichnis ist heute Thema unseres Gottesdienstes. Das Gleichnis „Vom Sämann“ – wie es in der Lutherbibel überschrieben ist. Diese Form der vergleichenden Erzählung, der Parabeln oder Bildworte wird von Jesus gerne benutzt, um uns etwas von Gott, von seinem Wesen zu erzählen. Dahinter steht die Frage, die auch uns immer wieder beschäftigt: Wie ist Gott und was hat Gott vor mit uns, mit unserer Welt? Oder anders formuliert: Warum sind wir eigentlich da?
Diese Frage beschäftigt die Menschheit wohl seitdem sie existiert und eine einfache Antwort gibt es nicht. Auch Jesus hat eine solche Antwort nicht für uns parat. Daher malt er uns Bilder vor Augen, die mehr sagen als reine Erklärungen. Bilder aus Worten – das sind Gleichnisse.
Die Gleichnisse, die Jesus erzählt, handeln ganz oft von Alltäglichkeiten: Vom Sauerteig, den die Frauen jeden Tag zubereiten, um das tägliche Brot zu backen. Von menschlichen Beziehungen, wie vom verlorenen Sohn, der schließlich doch zum Vater zurückkehrt und dabei große Freude auslöst oder vom bittenden Freund, der einfach nicht locker lässt und so am Ende doch noch die Tür geöffnet bekommt.
Oder die Gleichnisse handeln vom Geld – damals wie heute einem beliebten Alltagsthema: Von den anvertrauten Talenten, vom Scherflein der Witwe oder vom Schatz im Acker sind Gleichnisse, die von kleinen oder großen Reichtümern handeln.
Eine ganze Reihe von Gleichnissen beschäftigt sich aber mit Themen aus der Landwirtschaft: Da ist die Rede vom Weinberg und seinem Winzer, vom winzigen Senfkorn, das aufbricht und zu einem imposanten Gewächs wird oder eben unser Gleichnis vom Sämann. Bei diesen Gleichnissen geht es immer darum, dass etwas wächst, etwas entsteht und größer wird und dass die Ursache dieses Werdens und Entstehens Gott ist.
Gott agiert hier als Sämann. Mit einem großen Beutel Saatgut in der Hand geht er über den vorbereiteten Acker. Die Ackerfläche ist nicht sehr groß und eben – nicht so, wie wir heute Agrarflächen kennen. Wege führen durch den Acker, Hirten treiben ihre Schafe und Ziegen darüber, in regelmäßigen Abständen sind Olivenbäume gepflanzt. Sie bringen gute Erträge und spenden wertvollen Schatten für die Landarbeiter. Der Boden ist zwar fruchtbar, aber felsig. Viele Steine liegen herum. Die größten wurden schon eingesammelt und als Grenzsteine zwischen die Felder gelegt. So sieht es auch auf den Äckern Palästinas – zur Zeiten Jesu genauso wie heute, 2000 Jahre später. Über einen solchen Acker geht der Sämann. Mit routinierter Handbewegung streut er seinen Samen auf das Land. Er macht einen Schritt, dann noch einen, greift in seinen Beutel und wirft mit Schwung eine volle Hand voll Samenkörner auf den Boden. Fast wie eine Maschine. So macht er es, bis er am Ende des Feldes angekommen ist. Ruhig zieht er seine Bahnen, bis er allen Samen ausgestreut hat. Was bei dieser alltäglichen Arbeit genau passiert, berichtet Jesus in unserem Gleichnis.
Nicht alle Saat geht auf – das zeigt die Erfahrung. Manches fällt auf den Weg, manches auf Fels, manches unter dornige Büsche, die der Saat Licht, Feuchtigkeit und Nährstoffe zum Wachsen nehmen. Dreiviertel des Saatgutes geht nicht auf. Eine ziemlich nüchterne Bilanz. Nur ein Viertel fällt auf fruchtbaren Boden, geht auf und gedeiht. Was hier passiert, leuchtet ein. Viele der Menschen, die Jesus zuhörten, wussten aus eigener Erfahrung, was Jesus meint. Viele arbeiteten als Bauern und lebten von dem, was der Acker ihnen zur Verfügung stellte. Insofern spricht Jesus hier ganz existentielle Themen an, mit denen jeder sich auskennt.
Am Ende dann steht die Aufforderung: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Ein großes Ausrufezeichen. Hier soll mehr gesagt werden, als eine einfache Erfahrung, die jeder schon kennt. Hier geht es um weit mehr, es geht um Gott und um die Frage: Warum bin ich eigentlich auf der Welt?
Was für einen Eindruck von Gott bekommen wir hier? Gott ist der, der Leben ermöglicht, der den Samen auf das Land wirft, damit er aufgehen kann. Andererseits fällt mir auf, dass auch bei Gott nicht alles 100%ig ist, dass auch er keinen uneingeschränkten Ernteerfolg aufweisen kann. Von vornherein wirft er Samen aus, der nie Frucht bringen wird. Das ist interessant. Es zeigt eine Seite Gottes, die uns unbekannt bleibt. Luther spricht in diesem Zusammenhang vom „verborgenen Gott“, den wir mit unserem menschlichen Verstand nie ergründen werden. Es gibt Seiten an Gottes Wesen, die uns fremd, uns unverständlich bleiben. Da stoßen wir an Grenzen, an Grenzen unseres Glaubens und unseres Verstehens und bleiben zurück mit der Frage: „Warum, Gott?“ Jesus weiß genau darum und lässt diese Seite Gottes auch in unserem Gleichnis anklingen.
Trotzdem ist die Ernte sehr erfolgreich. Wenn wir uns dieses Gleichnis einmal kurz unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ansehen, so ist die Rechnung einfach: Nur ein Viertel der Ernte geht auf und bringt Frucht. Wieviel Frucht, das erfahren wir: 100mal soviel. Das heißt es gibt immer noch – trotz des hohen Verlustes – einen Gewinn von 150%. Das ist nicht schlecht und bedeutet stetiges Wachstum. Gottes Saat geht auf, bringt Frucht.
Warum nun erzählt Jesus eigentlich dieses Gleichnis?
Dieser Text vom Sämann ist eines der wenigen Gleichnisse, zu denen die Bibel uns eine Deutung, eine Erklärung Jesu mitliefert. Sie steht wenige Verse später. Jesus sagt (VV. 11-15): Das Gleichnis aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes. Die aber auf dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden. Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht. Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.
Es geht um Gott und sein Wort und wie die Menschen damit umgehen. Dabei verstehe ich dieses Gleichnis nicht als Drohung im Sinne von „Pass ja auf, dass du im rechten Glauben stehst, dass du auch richtig mit dem Wort Gottes umgehst, denn sonst bist du genauso verloren wie Dreiviertel der Ernte!“ Viele Jahrhunderte hindurch schürte die Kirche die Angst der Menschen, indem sie mit Teufel, Hölle und Fegefeuer drohte. Diese Zeiten sind – Gott sei Dank – für uns vorbei. Für mich ist dieses Gleichnis vielmehr eine Zusage, eine Motivation, mit Gott auf dem rechten Weg zu sein. Indem ich mich auf sein Wort einlasse, das Evangelium an mich „heranlasse“ und versuche, ihm auch in meinem alltäglichen Leben Raum zu geben, bringe ich automatisch Frucht. Das tröstet mich besonders auch in Zeiten wie diesen, wo vieles nicht geht, wo ich mich manchmal ausgebremst fühle, wo die Gemeinschaft fehlt. Auch jetzt geht Saat auf – ganz gewiss. Dafür sorgt Gott. Auch jetzt können wir im Glauben bleiben und wachsen, gerade jetzt. In vielen Dingen sind wir zurückgeworfen auf uns, auf das, was wirklich wichtig ist, auf die großen Fragen. Jetzt ist die Zeit darüber nachzudenken. Damit legen wir einen wichtigen Grund.
Die Saat, das Wort existiert aber nicht für sich, es hat eine Bestimmung, soll aufgehen, wachsen, verbreitetet werden. Das tun wir im Gottesdienst, im gemeinsamen Hören auf Gottes Wort und im Gebet. Das tun wir aber auch in unserem Alltag, wenn wir uns an Gottes Wort orientieren, uns und das Leben anderer seiner Fürsorge im Gebet anvertrauen, immer in der Gewissheit, dass wir niemals alleine unterwegs auf unserem Weg sind. Dass das nicht heißen kann, dass wir Gott alleine das Feld überlassen sollen und uns untätig zurücklehnen können, erzählt folgende kurze Geschichte:
Ein Pastor kommt zu einem Landwirt auf den Hof. Er betritt einen wunderbaren Hof: er ist ordentlich, sauber, gut geführt. Die Tiere im Stall sind gesund und auf den Feldern wartet eine reiche Ernte. Das sagt der Pastor mit ernster Miene: „Du weißt doch, wem du das alles zu verdanken hast?“ „Ja“, antwortet der Landwirt „Gott, der Herr, hat mich wahrlich reich beschenkt.“ Doch er fügt mit einem Seitenblick auf den frommen Mann hinzu: „Aber, Herr Pastor, Sie hätten den Hof mal sehen sollen, als der liebe Gott hier noch alleine gewirtschaftet hat.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus, unserem Herrn.
Amen.