Predigt am 14. Sonntag nach Trinitatis über 1 Mose 28,10-19a von Kerstin Strauch

Liebe Gemeinde,

unter Schock blickt Jakob auf die Ereignisse der letzten Stunden zurück. Soweit hätte es nicht kommen dürfen! Streit mit seinem Bruder Esau hatte es ja schon oft gegeben. Schon als Kinder hatte sich das Zwillingspärchen ständig in den Haaren gelegen. Die beiden sind einfach so grundverschieden, obwohl sie doch Brüder sind. Esau ist stark und er ist Realist. Er arbeitet hart für seinen Unterhalt, streift als Jäger durch die Natur und weiß, dass er sich im Prinzip nur auf sich selbst verlassen kann. Für ihn gilt das Hier und Jetzt. Anders ist Jakob. Er blickt hinter die Dinge, fragt nach und grübelt viel. Für ihn liegt die Wahrheit nicht nur in dem, was vor Augen ist. Manchmal allerdings nimmt er es mit der Wahrheit auch nicht so genau.

Eines Tages kommt es zu einem Eklat. Jakob hat seinen Bruder Esau um den Erstgeborenensegen betrogen. Wütend schwört Esau, Rache an seinem Bruder zu nehmen. Bald wird Jakobs Kopf rollen! – soweit geht Esaus Plan. Die Mutter hat Angst um ihren Lieblingssohn und verhilft Jakob zur Flucht.

Jakob muss wegziehen aus dem Land, in das sich sein Vater Abraham einst aufmachte. Jakob hat Grenzen überschritten, die er nicht hätte überschreiben dürfen. Jetzt gibt es Grenzen, die er überschreiten muss. Esaus bitterer Schrei klingt ihm noch in den Ohren. Er hat seinem blinden Vater Lebewohl gesagt. Würde er ihn je wiedersehen? Und seine Mutter Rebekka?

Ihm ist bang. Vor ihm viele Meilen der Einsamkeit, und kein Weg, der zurückführt. Lebewohl Kanaan. Es ist, als gebe es hier vor Gottes Angesicht keinen Platz für ihn, solange er mit seinem Bruder im Hader lebt. Wird er jemals hierhin zurückkehren?

Wir hören den Predigttext für den heutigen Sonntag aus dem 1. Buch Mose, Kapitel 28:

Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen.

Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.

Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben.

Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle

Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.

 

Interludium: „Ecloge in E“

 

Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!

Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.

Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf und nannte die Stätte Bethel; vorher aber hieß die Stadt Lus.

 

Liebe Gemeinde,

wie schnell ist es passiert! Ein böses Wort, ein lang unterdrückter Konflikt, eine schlimme Erinnerung, die nicht heilen will – ein Streit führt zu neuen Verletzungen und plötzlich ist alles noch schlimmer. Schnell wird dann nach dem Schuldigen gesucht, doch wir alle wissen: In 99% der Fälle ist nicht einer alleine schuld. Da ist einer wie Esau, der sich mit dem Leben so wie es ist, abgefunden hat. Keine Visionen bestimmen ihn, er versucht sich sein Leben so gut es geht einzurichten. Dann wird er von außen auf einmal angegangen. Sein eigener Bruder bringt alte Strukturen ins Wanken, belügt und betrügt ihn. Gemein ist das!

Jakob hat ein Gespür für Menschen. Im Gegensatz zu seinem Bruder will er die Welt verändern. Er spürt, dass die Kraft dafür nicht nur in ihm selbst wurzelt. Ungerechterweise ist er ein paar Minuten später als sein Zwillingsbruder auf die Welt gekommen.

Und nun ist es passiert. Jakob hat seinen Bruder betrogen, seinen Vater angelogen und sich auf diese Weise einen Vorteil verschafft, der sich momentan ganz und gar nicht vorteilhaft auswirkt. Das kennen wir auch: Eigentlich wollten wir doch nur Gutes! Ich habe es doch nur gut gemeint. Manchmal muss man einen Menschen eben zu seinem Glück zwingen oder ich muss mit dem Kopf durch die Wand! Diese Sprüche kennen wir alle. Oft geht’s gut – und dann auch manchmal furchtbar schief. Dann wird mir auf einmal das Ausmaß des Ereignisses klar und ich merke: So kann es nicht weitergehen. Sofort muss gehandelt werden.

Jakob muss fort – sofort. Er flieht, flieht vor der Rache seines Bruders, ja, flieht auch vor der eigenen Verantwortung, flieht, bevor noch mehr kaputtgeht. Zurück nach Haran soll er gehen, in die Heimatstadt seines Vaters. Zurück an den Anfang. Nochmal von vorne anfangen?

In einer total verfahrenen Situation ist es manchmal der einzige Weg, nochmal an den Ausgangspunkt zurückzukehren. Oft tun wir das in Gedanken: Wann hat das alles angefangen? Von wo ist der Streit ausgegangen? Was war der Auslöser? Oder wir kehren auch konkret noch einmal an einen Ort zurück, der vor diesen Ereignissen wichtig für uns war. Manchmal lässt es sich dort klarer denken.

Bei Jakob bewahrheitet sich die Weisheit, dass der Weg das Ziel ist. Denn auf seiner Reise nach Haran tut sich für ihn eine Himmelspforte auf. Im Traum eröffnet sich für ihn eine neue Perspektive. Gott sagt Jakob seinen Beistand und Segen zu und dass, obwohl er sich vorher nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.

Jakob stellt an diesem Ort des Traums einen Erinnerungsstein auf. Fortan wird Bethel zu einem Ort der Gottesbegegnung und des Gedenkens an dieses Versprechen, das Gott dem Jakob gegeben hat. Was Gott verspricht, das hält er auch – da kann unser Leben noch so schiefgehen. Gott hält zu uns. Daran soll der Stein in Bethel erinnern.

Haben wir auch solche Orte des Gedenkens? Ich glaube schon – Sie alle befinden sich gerade an einem solchen. Unsere Kirche ist ein Ort, der schon seit mehr als 270 Jahren von Menschen genutzt wird, um hier Gottesdienste zu feiern, Familienereignisse unter Gottes Segen zu stellen, Sorgen und Nöte im Gebet vor Gott zu bringen, zu singen und Gott zu loben. Es ist nicht nur der Ort, der auf uns wirkt, sondern der Geist, der seit Jahrhunderten durch dieses Gotteshaus weht. Lassen Sie sich von ihm inspirieren!

Andererseits zeigt uns die Geschichte deutlich, dass Bethel gerade ein Ort ist, wo es ganz plötzlich zu einer Begegnung mit Gott kommt. Gottes Geist bewegt uns nicht nur dann, wenn wir damit rechnen – ganz im Gegenteil. Gerade in schwierigen Situationen, wo eine Last auf unserer Seele liegt, uns die Kraft fehlt, wir eigentlich nur noch schlafen oder uns verkriechen wollen – da passiert es plötzlich. Jakob wird im Traum überrascht! Der Himmel steht offen.

Er steht offen – auch für uns. Es braucht Ruhe und Geduld, um zu entdecken, wie Gott für uns spürbar ist. Leise, wie ein Säuseln des Windes, entdeckte der Prophet Elia Gott. Jakob im Traum. Und du? Auch zu dir sagt Gott: Ich will dich nicht verlassen. Amen.

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