Predigt am 14. Sonntag nach Trinitatis über Lukas 19,1-10 von Kerstin Strauch

Liebe Gemeinde,

das Bild einer 500 Euro-Note ist heute auf unserem Gottesdienstprogramm abgedruckt. Vielleicht haben Sie sich gefragt: Was soll denn das? Schauen wir uns die Banknote einmal an: Der lilafarbene Geldschein zeigt die Zeichnung einer abstrakten Brücke und dem europäischen Symbol des Sternenkranzes sowie einer Landkarte von Europa. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber allzu oft habe ich eine so große Banknote noch nicht in der Hand gehabt. Sie wird seit anderthalb Jahren auch nicht mehr gedruckt, ist aber immer noch gültig. Vielleicht denken Sie sich: „Schade, dass so ein Geldschein gerade nicht in meinem Geldbeutel steckt!“ So eine Finanzspritze täte wahrscheinlich einigen von uns gut.

Von einem, dem es ähnlich ging und für den Geld zum wesentlichen Inhalt seines Lebens wurde, berichtet eine Geschichte, die das Lukasevangelium überliefert. Ich lese aus dem 19. Kapitel die Verse 1-10:

 

1 Und [Jesus] ging nach Jericho hinein und zog hindurch.2 Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. 3 Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. 4 Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. 5 Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. 6 Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. 7 Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. 8 Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. 9 Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. 10 Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

 

Es ist die Geschichte von Zachäus, dem römischen Zollbeamten, die heute im Mittelpunkt des Gottesdienstes steht. Zachäus lebt davon, dass er im Auftrag der römischen Besatzungsmacht Waren verzollt. Er kontrolliert Reisende, die die Grenze bei Jericho passieren und kassiert dabei recht ordentlich. Das ist nicht verwunderlich, schließlich muss Zachäus von seinen Einnahmen leben. Einen Großteil aber muss er direkt an den römischen Verwaltungsapparat weiterleiten. Daher kommt es regelmäßig vor, dass er die Zolleinnahmen zuweilen willkürlich erhöht. Das machen alle so – Zachäus auch. Daher verachten die Bewohnerinnen und Bewohner von Jericho Zachäus. Keiner will etwas mit diesem Halunken zu tun haben, der Profit macht auf Kosten anderer. Die anderen meiden ihn, niemand lädt ihn ein zum Schabbat oder zu anderen Festen. Wer mit den Römern zusammenarbeitet und daraus noch Gewinn schlägt, kann kein Freund sein.

Zachäus hingegen nutzt die strategisch günstige Lage der Palmenstadt Jericho. Sie ist eine Grenzstadt. Die segensspendende Quelle des Elisa ist Anziehungspunkt für viele Pilger. Die Oase sorgt für die üppige Vegetation: Rosen, Balsamstauden und Dattelpalmen gedeihen gut. Hunderte von Menschen zieht es regelmäßig in diese Stadt und Zachäus hat seine Freude daran.

Hat er das wirklich? Der Predigttext lässt uns daran zweifeln. Jesus kommt auf seinem Weg nach Jerusalem in die Stadt Jericho. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich diese Nachricht. Mittlerweile hat es sich rum gesprochen, dass dieser einfache Zimmermann aus Nazareth Menschen heilt und ein Prophet Gottes ist, der Wunder tut. Viele Menschen strömen aus ihren Häusern, um Jesus zu sehen, ihn predigen zu hören. Natürlich hat auch Zachäus von seiner Ankunft gehört. Und er macht sich sofort auf den Weg. Unbedingt will er Jesus sehen. Dabei gibt es ein Problem: Zachäus ist klein. Viele Männer sind größer als er und versperren ihm die Sicht. Zachäus rennt und entdeckt einen großen Maulbeerbaum. Ohne zu zögern klettert er hoch. Dort oben im Geäst sitzt er nun, er hat freie Sicht auf den, der kommt, und zugleich ist er etwas geschützt von der Menschenmasse, die sich unter ihm versammelt. Die Menschen richten ihre Augen nur auf die Straße. Jesus muss jeden Moment da sein. Keiner beachtet den Zöllner, der sich an die dicken Äste des Baumes klammert. Dann kommt Jesus. Unterhalb des Maulbeerbaumes bleibt er stehen und befiehlt Zachäus herunterzukommen. Jesus lädt sich selbst zum Zöllner ein. In Zachäus’ Haus will er bleiben. Dort will er essen und vielleicht auch übernachten. Es ist klar, dass die anderen nicht begeistert sind als Jesus diese Nachricht verkündet.

Bei einem Sünder kehrt Jesus ein! „Sünder“ – dieses altmodische Wort benutzt die Bibel an vielen Stellen. Das große Wort „Sünde“ meint dabei einen ganzen Komplex von Gedanken und Vorstellungen, die eines gemeinsam haben: Mit Sünde ist stets ein Entferntsein von Gott und sich selbst gemeint. Wer sündigt, befindet sich in einem gestörten Netz von Beziehungen, ist weder mit sich noch mit Gott im Reinen. Weil diese Vorstellung von Sünde so schwierig ist und sich Menschen zu allen Zeiten damit schwer getan haben, mit dem Reden von der Sünde etwas anzufangen, gibt es in der Bibel, aber auch in vielen anderen jüdischen, christlichen und auch islamischen Schriften genaue Beschreibungen, was die Sünde ist. Da wird teilweise unterschieden zwischen lässlichen Sünden und Todsünden. Auch gibt es im Alten Testament genaue Schilderungen der Konsequenzen für z. B. Diebstahl oder Ehebruch. Daher ist für die Leute in Jericho schnell klar: Der Zachäus hat es auf keinen Fall verdient, dass er von Jesus besucht wird. Er ist ein Dieb, weil er in übertriebener Höhe Zölle eintreibt. Er muss bestraft werden. Es passt überhaupt nicht in ihr Denken, dass Jesus sich gerade diesem vermeintlichen Sünder persönlich zuwendet, ja sogar in sein Haus geht, um mit ihm zu essen und zu trinken. Auf der anderen Seite ist es ja gerade das, was wir immer wieder von Jesus hören, dass er mit den sogenannten Zöllnern und Sündern an einem Tisch sitzt. An einer anderen Stelle des Lukasevangeliums sagt Jesus: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, aber die Kranken.“ Jesus setzt sich ein für die, die keiner haben will. Die nicht durch ein Netz von sozialen Bindungen gehalten werden, vielleicht weil sie krank sind oder nicht in die gesellschaftliche Norm passen. So ist es auch mit Zachäus – er steht außerhalb der Gesellschaft, weil er für die Römer arbeitet und daraus noch Gewinn zieht. Über die genaueren Umstände seines Lebens, warum er diese Arbeit macht, ist nichts bekannt.

Doch das ist hier auch nicht wichtig. Entscheidend ist doch, dass Zachäus merkt: „Es stimmt etwas nicht in meinem Leben. Ich kann und will nicht so weiter machen.“ Zachäus hat die Kraft und den Mut etwas zu ändern. Er spürt, dass Jesus ihm helfen kann und macht sich auf den Weg. Diese erste Bewegung, diese Hinwendung zu Gott löst etwas aus. Von diesem Moment an ist Zachäus nicht mehr allein. Er macht sich auf einen neuen Weg – den Weg der Gerechtigkeit. Der frühere Zollbeamte zieht selbst die Konsequenzen für das, was die anderen als Sünde bezeichnen. Zachäus sagt zu Jesus: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Das entspricht ganz der alttestamtlichen Vorgehensweise bei der Sühnung eines Diebstahls. Doch Zachäus wird nicht von anderen dazu verurteilt, er selbst entscheidet sich zu diesem Schritt. Daraufhin ändert sich sein Leben von Grund auf – Jesus sagt es ganz deutlich: Von jetzt an wirst du und deine Familie Frieden finden. Ihr werdet heil werden und nicht mehr ausgestoßen sein. Denn auch ihr gehört zur großen Familie von Abraham.

Schauen Sie noch einmal auf den Geldschein. Vieles kann man für 500 EUR kaufen. „Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt.“ – heißt eine bekannte Binsenweisheit. Wer Geld hat, braucht sich um manche Dinge des alltäglichen Lebens nicht zu sorgen. Das ist sehr beruhigend. Doch der Schritt zwischen der finanziellen Existenzsicherung und dem immer stärkeren Streben nach Gewinn ist klein. Oft sind die Übergänge fließend. Wahrscheinlich ging es auch dem Zachäus ähnlich. „Ob ich nun einen oder zwei Schekel mehr von den Leuten verlange, macht doch eigentlich nichts aus.“ – Mit dieser Überzeugung fing es an. Doch sein Reichtum macht Zachäus nicht zufrieden. Er sucht nach etwas, was seinem Leben Sinn gibt – Geld kann es nicht sein, das steht für Zachäus fest.

In Situationen, in denen wir wie Zachäus nach dem Sinn und Ziel unseres Lebens suchen, müssen wir uns auf den Weg machen. Eine Antwort wird nicht automatisch über uns kommen. Wenn wir uns aber auf den Weg machen, können wir sicher sein: Gott wartet auf uns. Er will sich von uns finden lassen.

Der heutige Predigttext macht Mut, sich diesem Prozess zu stellen, denn er erzählt, dass unser Suchen nicht erfolglos bleiben wird. Doch er geht noch einen Schritt weiter, indem er zeigt, welche Konsequenzen nach einem Zusammentreffen mit Jesus auf uns zukommen werden: Da siegt die Gerechtigkeit über die Ungerechtigkeit. Auf einmal wird es mit Blick auf die 500 Euro-Note nicht mehr heißen: „Wie schön, wenn der Schein in unserem Geldbeutel stecken würde!“, sondern: „Wie viel Gutes könnte ich damit anderen tun!“ Die Güter auf dieser Welt sind ungerecht verteilt, dass ist kein Geheimnis. Dabei leben wir in einem Land, im vereinten Europa, das reich ist – auch wenn wir das hin und wieder anders wahrnehmen und gerade jetzt immer wieder davon hören, welche dramatischen Folgen die Corona-Pandemie auch wirtschaftlich hat. Aber nach wie vor gilt: Wir haben ein Dach über dem Kopf, zu essen im Überfluss, unsere Kinder gehen zur Schule, wir sind gut gekleidet. All das ist keine Selbstverständlichkeit. Wie viele Menschen auf dieser Welt haben das gerade nicht! Noch in dieser Woche sahen wir die furchtbaren Bilder aus dem Flüchtlingslager in Moria. Und das ist ja nur einer von vielen anderen Orten des Elendes in der Welt. Das Schlimme daran ist ja, dass wir oft auf Kosten der armen Länder dieser Welt leben, ohne ist wirklich zu merken. Es ist eine kollektive Verantwortung, die auf uns lastet. Aber trotzdem ist es unabdingbar, dass wir diese Tatsache wahrnehmen und versuchen, so gut es geht mit ihr umzugehen, um die Welt etwas gerechter zu machen. Jeder und jede von uns wird da die eigenen Möglichkeiten haben.

Der 500 Euro-Schein zeigt ein Symbol. Da ist eine große Brücke abgebildet, die von vielen Stahlseilen gehalten wird. Wir alle tragen Verantwortung und wir sind von Jesus dazu aufgefordert, für Gottes Reich, für eine bessere Gerechtigkeit einzutreten. Machen wir uns auf den Weg. Überqueren wir diese Brücke. Dann wird Gottes Reich etwas mehr Wirklichkeit werden auf dieser Welt und wir werden – wie Zachäus – Heil und Segen erfahren.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Amen.

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