Predigt am 7. Sonntag nach Trinitatis über Jesaja 43,1-7 von Kerstin Strauch

Die Gardinen sind halb zugezogen. Es weht ein warmer Sommerwind durch das gekippte Fenster. Draußen singen Vögel. Ansonsten ist es still. Sie liegt friedlich in ihrem Bett. Der Atem geht schwer. „Es geht zu Ende“, sagen die Ärzte. Die Angehörigen waren da, um Abschied zu nehmen. Sie werden gleich wiederzukommen, um auch den letzten Weg mit der Mutter und Oma zu gehen.

Ich setze mich ans Bett und nehme ihre Hand. Sie ist kühl. Ich spreche mit ihr. Keine spürbare Reaktion. Ich bete. „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein!“ Ein tiefer Atemzug folgt. Sie hat sich auf den Weg gemacht.

 

„Fürchte dich nicht!“ Dieser Satz ist derjenige, der am häufigsten in der Bibel vorkommt. Immer wieder stehen Menschen vor riesigen Veränderungen, sind in großer Gefahr oder haben den Tod vor Augen. Sie hören: „Fürchte dich nicht!“ Aber ist das nicht einfacher gesagt als geglaubt? Ich kann doch niemandem anbefehlen, keine Angst, keine Furcht mehr zu haben. Dahinter muss eine tiefe Überzeugung stehen oder eine Erfahrung, die mir zeigt: Das stimmt! Ich muss mich nicht fürchten!

(1. Die Geschichte vom kleinen Rädchen)

Das sagt jemand: „Was soll ich schon ausrichten? Ich bin doch nur ein winziges Rädchen im Getriebe der Welt!“ Ganz abgesehen davon, dass auch das winzige Rädchen seine Berechtigung hat und notwendig ist, geht es hier um die Frage: Wen interessiert es schon, was mit mir ist? Wer das Glück hat, Familie und Freund zu haben und geliebt zu werden, für den ist diese Frage vielleicht unwichtig. Trotzdem sind Erfahrungen von Einsamkeit, von Traurigkeit und Verlassenheit den meisten nicht fremd. Wir hören bei Jesaja die Worte: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! (Jes 43,1) Gott kennt uns. Er kennt sogar unsere Namen. Die Namen, die unsere Eltern für uns ausgesucht haben. Er spricht uns an. Ganz persönlich und individuell. Und andersherum können wir das auch machen. Gott ist kein Fremder, kein Gott, der fernab jeder Realität ist. Jesus ist unser Bruder. In der Taufe hat Gott sich mit uns verbunden. Wir haben mit der Taufe seinen Namen bekommen. Wir heiße jetzt nicht mehr nur Luan oder Odine, sondern auch Christ und Christin. Wir „kleinen Rädchen“ sind Gott nicht egal, sondern ganz wichtig. Und wenn eines fehlen würde, wäre es nicht gut. Gott sieht das. Er sieht uns. Und genauso will auch er von uns wahrgenommen werden. Und weil das so ist, brauchen wir uns nicht zu fürchten. Gott hat uns erlöst, befreit. Er ruft uns bei unserem Namen. Wir gehören zu ihm.

 

(2. Im Kleinen wie im Großen)

Zu jedem von uns sagt Gott: „Fürchte dich nicht!“ Und er sagt es auch zu einem ganzen Volk. Als diese Worte entstanden sind, war die Situation für das Volk Israel wirklich zum Fürchten. Sie hatten einen schlimmen Krieg erlebt und ihre Heimat verloren. Fernab von Jerusalem warteten sie nun in Babylon auf ihre Rückkehr. Jahrzehnte waren vergangen. Das Leben war nicht mehr wie früher. Verzweiflung, Traurigkeit und Einsamkeit machten sich breit. Da richtete der Prophet Jesaja sich an das Volk Israel. Wir hören den Predigttext für heute aus dem 43. Kapitel des Jesajabuches:

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner statt, weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. Ich gebe Menschen an deiner statt und Völker für dein Leben. So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, ich will sagen zum Norden: Gib her!, und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe. (Jes 43,1-7)

Egal, was ist, ob Feuer und bedroht, ob Wasser uns verschlingt, ob wir in Gefangenschaft sind – Gott wird uns retten und befreien. Das ist sein Plan. Alles, was möglich ist, wird er tun, um uns wieder zusammenzubringen, zu ihm zu bringen. Er liebt uns. Dieser Text ist eine große Liebeserklärung an Israel und an jeden und jede, die Gott in ihr Leben lassen.

(3.) Was hat das mit Taufe zu tun?

Von Taufe ist hier keine Rede. Und doch ist dieser Text heute „dran“, an diesem Sonntag, wo es besonders um die Taufe geht. Bei der Taufe verbindet sich Gott mit uns – darüber haben wir heute schon einiges gehört. Und unser Name wird genannt. Das ist ein Zeichen dafür, dass auch Gott unseren Namen kennt und wir seinen Namen tragen dürfen. Namen haben ja immer eine Bedeutung. Unsere Namen spiegeln oft auch etwas vom Zeitgeist unserer Geburtsjahre wieder. Am Anfang des letzten Jahrhunderts standen noch Mädchennamen wie Anna, Berta, Charlotte und Anneliese auf den ersten Plätzen. Bei den Jungennamen waren nach Auskunft der Gesellschaft für die deutsche Sprache Alfred, Arthur, Bruno und Carl die am meisten vergebenen Vornamen. In diesem Jahr rangieren die Jungennamen Levi, Leano und Liam auf den ersten Plätzen. Bei den Mädchen waren es Lina, Emilia und Emma.

In der Zeit, als der Prophet diese Sätze sprach, hießen die Menschen Nathan, Eljakim oder Elia, Mirjam, Deborah oder Hannah. Manche Namen kennen wir heute noch gut, denn biblische Namen sind in Deutschland nach wie vor beliebt. Bei der Geburt eines Kindes spielt die Namensgebung eine ganz wichtige Rolle. Oft bedarf es langer Überlegung und Einigung zwischen den Eltern, um einen geeigneten Vornamen für den Sprössling zu finden. Einer, der sich solche Gedanken nicht macht, weil er uns schon kennt, noch bevor unsere Eltern von uns wussten, ist Gott. Er kennt unseren Namen ganz genau, weiß, wer wir sind. Gott weiß auch um unser Leben und er allein kann sagen: „Fürchte dich nicht! Hab keine Angst! Denn ich bin bei dir!“ Und so ist dieser Vers aus dem Jesajabuch ein Bibelwort, das vielen Trost und Zuversicht schenkt – ganz am Anfang des Lebens, aber auch im Sterben. Wir brauchen uns nicht zu fürchten, denn Gott ist bei uns. Er wird uns befreien, erlösen und uns bei unserem Namen rufen. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

Schreibe einen Kommentar