Predigt am Pfingstsonntag (23.05.21) über 1. Mose 11,1-9 von Kerstin Strauch

Der Predigttext für den heutigen Pfingstsonntag steht im 1. Buch Mose Kapitel 11. Ich lese die Verse 1-9:

1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. 2 Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. 3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel 4 und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.

5 Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. 6 Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7 Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe!

8 So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. 9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.

 

Liebe Gemeinde,

ein Wolkenkratzer ist nicht genug, es muss ein Himmelskratzer sein, den die Menschen in Babel errichten wollen. Dieses Projekt entspringt der menschlichen Sorge, bedeutungslos zu sein. Der Turm soll Identität stiften, soll Größe zeigen. Wer ist größer als wir? Niemand!

„Höher, schneller, weiter!“ Dieser Slogan zieht sich seit Jahrzehnten weltweit durch die Gesellschaften. Wir messen uns gerne. Wissenschaftsnation, Fußballnation, Nation der Dichter und Denker. „America first“ oder doch Europa? Von China ganz zu schweigen! Das fängt schon in den Familien an: Da sorgen sich Eltern schon vor der Einschulung um die Karrieren ihrer Kinder. Immer mehr leiden Lehrerinnen und Lehrer unter zum Teil sehr harscher Kritik der Eltern, wenn der Sprössling nicht die erwartete Leistung bringt. Dabei drehen wir uns oft um uns selbst. Ganz nach dem Motto: „Ich muss jetzt mal an mich denken!“ oder anders: „Wenn jeder an sich selber denkt, ist an alle gedacht!“.

Martin Luther hat einmal gesagt: „Darum wurde Gott Mensch, damit wir vermeintlichen Götter zu Menschen würden!“

Vermeintliche Götter – das wollen wir seit Urzeiten sein. Wir wollen möglichst kontrollieren, was in unserer Macht steht und stoßen dabei doch immer wieder an unsere Grenzen.

„Wohlan!“, sagten sich die Leute damals in Babel. Der Name Babel bedeutet auf Hebräisch „Pforte Gottes“. Wir machen es uns hier göttlich: Schnell war man sich einig, was das Projekt betrifft. Hoch hinaus sollte es gehen. Bis zum Himmel. Keiner wird mehr an uns zweifeln. Nicht so wie an Gott. Da kommen uns immer wieder Zweifel. Wir schaffen Fakten und legen los.

Der Turm wird immer höher. So einiges haben die Erbauer schon gelernt. Sie sind nicht mehr auf Steinbrüche angewiesen, sondern brennen ihre Ziegel selbst. Eine große kulturelle Errungenschaft. Und tatsächlich lassen sich im antiken Babel noch Fundamente eines „Turmes“, einer so genannten Zikkurat nachweisen. Diese trug den Namen „Etemenanki“, was auf sumerisch „Haus der Fundamente von Himmel und Erde“ bedeutet. Über 90 Meter lang und breit ist dieses Gebäude, das wohl sieben Stockwerke umfasst hat. Ein ungeheuer großer Bau für die damalige Zeit – mindestens 3000 Jahre ist das her.

Hinaufsteigen zu Gott in den Himmel – dieser Menschheitstraum sollte wahrwerden. Es ist ein Ausdruck von Größenwahn, den die Geschichte vom Turmbau zu Babel überliefert. „Wohlan“, sagen die Menschen, „wir wollen sein wie Gott!“

„Wohlan!“, sagt sich Gott. „Ich muss diesem Treiben Einhalt gebieten!“ Schließlich hatte er nach der Sintflut auf ewig versprochen, die Menschheit nicht mehr zerstören zu wollen. Das schließt auch ein, dass er es verhindert, wenn sie sich selbst zerstören will. Und so steigt er hinab. „Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe!“ Wörtlich steht da „des andern Sprache höre“. Die Menschen hören sich nicht mehr zu. Und so verstehen sie sich nicht mehr. Sie werden zerstreut. Sie sind sich nicht mehr einig. Der Turm zerfällt. Er liegt in Trümmern und aus „Babel“, der „Pforte Gottes“ wird ein Ort des Babbelns, der Missverständnisse und der Zerstreuung.

Gott tat das, um noch größeren Schaden zu vermeiden. So erzählt es die Bibel. Fortan konzentriert er sich auf ein Volk: auf Israel. Noch gibt es Israel nicht. Aber er wird sich Abraham aussuchen und mit ihm Schritt für Schritt neu anfangen.

Bis zu dem Moment, wo er der Verwirrung ein Ende machen kann. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist eine Anti-Pfingstgeschichte. Erst die Erzählung aus der Apostelgeschichte löst auf, was viele tausend Jahre zuvor durcheinander geriet.

Die Menschen werden erfüllt von einem Brausen. Der Geist kommt in Feuerzungen auf sie herab. Gott kommt abermals herab zu den Menschen. Als Gottes Geist. Diese Erfahrung ermöglicht ihnen wieder genau zu hören, sich zu verstehen.

Wo nehmen wir das „Brausen“ in unserem Leben wahr? Ist es ein Brausen oder eher ein leises Säuseln, wie es der Prophet Elia einmal erlebt? So oder so ist eines klar: Um den Geist zu spüren, braucht es Gespür. Er weht ja bekanntlich da, wo er will.

Der Geist ermöglicht uns ein genaues Hinhören. Denn damit fängt alle Verständigung an. Schauen wir auf den Konflikt in Israel und Palästina in den vergangenen Wochen, so haben alle Bombardements nichts genutzt. Es war schließlich das aufeinander Hören und ins Gespräch kommen, was den Waffenstillstand ermöglich hat. Beten wir darum, dass er hält!

Bei jedem Konflikt ist es so: Zunächst einmal müssen die Karten auf den Tisch. Ich muss hören, wahrnehmen, was los ist. Wenn ich das tue, fühle ich mich schon in mein Gegenüber ein und versuche zu verstehen. So sind diese ersten Gespräche ein erster Schritt in Sachen Verständigung.

Pfingsten wurde klar, dass Gott wieder Gott ist und der Mensch Mensch bleiben kann und darf. Dafür ist Gott Mensch geworden. Was für eine Entlastung! Es muss nicht immer höher, schneller, weiter gehen. Wir sind Menschen. Wir machen Fehler. Wir haben unterschiedliche Ansichten. Wir sind verschieden. Und doch sind wir eins: nämlich in der Gemeinschaft mit Jesus Christus. Wenn Gott uns eint, ist Verschiedenheit eine Gnade, denn sie macht unser Leben bunter.

Deshalb: „Wohlan! Lasst das Brausen zu und bleibt menschlich, damit Gott in eurem Leben Raum hat.“. Wie das geht? Zum Beispiel dadurch, dass wir uns hier versammeln und als Gemeinde Gottesdienst feiern. Oder dadurch, dass wir füreinander beten, dass wir andere nicht verurteilen, uns für Schwache einsetzen und gemeinsam nach Lösungen suchen, wie es gerechter zugehen kann in unserer Welt. Und schließlich: Indem wir erkennen, wo unsere Grenzen sind und nicht mehr krampfhaft versuchen, wie Gott zu sein und sein Regiment zu übernehmen.

Paul Gerhard fand dafür in dem bekannten Lied „Befiehl du deine Wege“ (EG 361,7) folgende Worte:

Auf, auf, gib deinem Schmerze und Sorgen gute Nacht,

lass fahren, was das Herze betrübt und traurig macht;

bist du doch nicht Regente, der alles führen soll,

Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.

Amen.

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