Halbzeit. Es wird abgepfiffen. Erstmal durchatmen. Nicht nur beim Fußball wird nach der Hälfte eine Pause gemacht. Beim Bergfest feiert man, dass der Gipfel erreicht ist. Die Hälfte der Wegstrecke ist geschafft. Das muss gefeiert werden! Erstmal innehalten, den Blick schweifen lassen, die Gedanken ordnen, wahrnehmen und sich freuen!
„Laetare!“ – „Freut euch!“ Der Name dieses Sonntages kommt nicht von ungefähr. Wir haben die Hälfte der siebenwöchigen Passionszeit geschafft. Mittendrin hören wir „freut euch!“. Das tut gut.
Es gab einige steile Pfade zu besteigen in den letzten Wochen. Konflikte zu Hause, Krankheiten, Sorgen um die Liebsten und dazu immer das allgegenwärtige Thema: Wann ist endlich „Bergfest“ in Sachen Pandemie? In dieser Hinsicht kann leider niemand mit Gewissheit sagen, wie lang dieser Weg wird und ob wir den höchsten Gipfel schon hinter uns haben. Vor einem Jahr war der Sonntag Laetare der erste, an dem Präsenzgottesdienste in den Kirchen überall untersagt waren. Wie haben wir gehofft, dass die Pandemie in absehbarer Zeit überwunden sein würde. Immer wieder wird unsere Geduld angemahnt. Ich bin ehrlich: Nicht nur in diesen Zeiten fällt mir geduldig sein schwer, aber jetzt besonders. So bleibt die Hoffnung auf eine positive Veränderung, auf gute Nachrichten, auf Grund zur Freude. Ich suche diese Hoffnungszeichen, an die ich mich klammern kann: in der Natur und ihren Frühlingsboten, die Impfungen und kleinen Lockerungen, die vielen Gespräche und besonderen Momente der Nähe auf Abstand.
Mit Abstand, zwar ohne Maske, aber mit viel Hoffnung und vielen Fragen kamen damals auch einige Juden aus dem griechischsprachigen Mittelmeerraum nach Jerusalem. Sie wollten bestiegen den Zion, den heiligen Berg, um am Passahfest teilzunehmen. Und sie waren neugierig, hatten sie doch von diesem besonderen Prediger gehört, von Jesus. Er hatte Wasser zu Wein verwandelt, 5000 Menschen mit zwei Fischen und fünf Broten satt gemacht, er hatte Kranke geheilt und war übers Wasser gelaufen. Ist das etwas wirklich der Sohn Gottes? Mit diesen Fragen im Gepäck wenden sie sich an einen Jünger.
Wir hören den Predigttext für diesen Sonntag aus dem 12. Kapitel des Johannesevangeliums, die Verse 20-24:
Es befanden sich auch einige Griechen unter denen, die zum Fest nach Jerusalem gekommen waren, um Gott anzubeten. Die gingen zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa stammte, und baten ihn: »Herr, wir wollen Jesus sehen!« Philippus ging zu Andreas und sagte es ihm. Dann gingen die beiden zu Jesus und berichteten es ihm.
Da sagte Jesus zu ihnen: »Die Stunde ist gekommen! Jetzt wird der Menschensohn in seiner Herrlichkeit sichtbar. Amen, amen, das sage ich euch: Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, sonst bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.« (Joh 12,20-24, Basisbibel)
Das Anliegen der Griechen scheint nicht so einfach zu sein. Dabei wollen sie doch eigentlich Jesus nur sehen. Philippus tut, was auch wir kennen, wenn wir uns überfordert fühlen: Erst einmal sagt er gar nichts, sondern wendet sich an einen Freund. Andreas stammt wie er aus Galiläa vom See Genezareth. Gemeinsam sind die beiden mutig genug, um Jesus mit der Anfrage zu konfrontieren.
Die beiden könnten vielleicht gesagt haben: „Rabbi, da sind griechische Juden, die von dir gehört haben, und die dich gerne sehen würden.“ Viele Menschen waren Jesus zuvor begegnet, hatten ihn gesehen und gehört, waren ihm nachgefolgt. Vielleicht war es im Gedränge des Passahfestes nicht so einfach, ihn zu finden. Doch dem Erzähler des Johannesevangeliums geht es hier noch um etwas ganz anderes. Der Wunsch der Griechen, Jesus zu sehen, ist der Auslöser für eine Zeitansage. Jesus sagt: Die Stunde ist gekommen! Jetzt wird der Menschensohn in seiner Herrlichkeit sichtbar. Jetzt ist der Moment, in dem auch Gläubige von außerhalb mitbekommen haben, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Nun soll er sichtbar werden in seiner Herrlichkeit.
In der Lutherbibel ist hier von „Verherrlichung“ die Rede. Herrlichkeit meint im antiken Sprachgebrauch „Ansehen“ und „Macht“. Diese wird einem Herrscher von Gott verliehen. Die Verherrlichung Gottes geht oft mit der Vorstellung eines hellen Lichtscheins zusammen, ein Glanz, der alles überstrahlt und somit für alle sichtbar ist.
Diese Vorstellung steht hinter der Aussage Jesu: Jetzt ist der Zeitpunkt, da für alle sichtbar wird, wer ich wirklich bin! Ich werde verherrlicht, weil ich Gottes Sohn bin.
Das ist ein Wendepunkt in der Jesusgeschichte, ein deutliches Zeichen. Auf dem Berg Zion hören die Jünger davon. Aber was soll das heißen? Die Griechen und viele andere werden Jesus zu sehen bekommen, werden erkennen, wer er ist. Aber wie? Noch sieht niemand einen hellen Lichtschein, von Verherrlichung keine Spur. Und überhaupt mag dieses Gerede in den Ohren der Jünger sehr befremdlich und unverständlich geklungen haben. Daher schiebt Jesus sofort eine Erklärung nach.
Dabei handelt es sich um ein Bildwort. Bilder helfen uns, komplexeste Dinge zu verstehen, die anders kaum begreifbar wären. So ist es auch mit dem Weg Jesu. Er sagt: Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, sonst bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.
Er ist dieses Weizenkorn. Er wird fallen – wie das Korn in die Erde. Er spricht es sogar aus: Er wird sterben. So wie ein Samenkorn scheinbar tot in der Erde liegt. Aber es ist nicht tot. Es muss in die Erde kommen, sonst stirbt es und trocknet aus. Ein Weizenkorn in der Erde aber keimt und wächst und bringt Frucht. Das wissen wir – genauso wie die Menschen damals. Das gehört zu den grundlegenden Erfahrungen der Menschen über Wachsen und Gedeihen.
Jesus muss sterben, damit es weitergehen kann. Er wird sterben, damit wir leben. Schon zwei Kapitel später spricht er darüber nochmal mit Philippus und den anderen. Er sagt: „Ich leben und ihr sollt auch leben!“ (Joh 14,19)
Es ist ein ganz anderes Bergfest, das Jesus feiert. Mitten auf dem Berg zeigt er auf die tiefsten Tiefen, in die er fallen muss, damit wir oben bleiben können, damit wir leben und der Tod uns nicht verschlingt. Diese Tiefe ist der eigentliche Berg – ganz paradox! So wird auch das Kreuz zum Siegeszeichen, obwohl es ein Symbol größter Schmach war.
Jesus finden – mitten in der Krise, in den Tälern und Sackgassen unseres Lebens, das ist eine große Freude, nicht nur in der Passionszeit. Der Predigttext erinnert uns daran. Und er macht mir Mut: Auch wenn momentan vieles nicht lebendig und eher fruchtlos scheint, es braucht seine Zeit. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Das Samenkorn muss in die Erde fallen und sterben, damit es viel Frucht bringt. Wer es nur vermahlt und zu Brot verarbeitet, hat zwar kurzfristig viel erreicht, aber auf lange Sicht nichts mehr, was gedeihen kann.
Fallen, unten sein, Angst haben – das sind Erfahrungen auf den Wegen, auf denen wir unterwegs sind. Was aber bedeutet es, unten zu sein, zu fallen?
Dazu habe ich folgende kleine Anekdote gefunden:
Ein junger Pfarrer sollte den Insassen eines Gefängnisses predigen. Als er in den Saal kam, und unter den abweisenden Blicken der Gefangenen den Mittelgang nach vorne ging, wurde ihm bewusst, dass salbungsvolle Reden oder sonst wie fromme Redensarten hier nicht am Platze waren. Mit klopfendem Herzen überlegte er, was er den Männern sagen könnte. Als er die Stufen zum Rednerpult hinaufstieg und dabei ein Gebet um göttliche Leitung zum Himmel schickte, stolperte er und fiel hin. Gelächter erfüllte den Gefängnissaal. Mein Freund aber erhob sich mit strahlendem Gesicht, trat ans Rednerpult und rief: „Männer, genau das ist es, weswegen ich hierhergekommen bin – nämlich um euch zu sagen, dass ein Mensch fallen und wieder aufstehen kann!“
Das gilt im Kleinen wie im Großen. Mut und Kraft zu finden, täglich weiterzumachen, wieder aufzustehen – darum bitten wir Gott. Seine Antwort ist sein Geist. Er erfüllt uns und stärkt uns. Fallen und Auferstehen – darum geht es auch im ganz Großen. Es geht um Leben und Tod. Das ist die Sache Jesu. Er ging diesen extremen Weg für uns. Er hilft uns beim Aufstehen und sorgt für unser Auferstehen.
Amen.