Predigt am Sonntag Sexigesimae (04.02.24) über Markus 4, 26-29 von Kerstin Strauch

Liebe Gemeinde,

haben Sie Geduld? Können Sie gut warten, abwarten, ruhig bleiben?

Ich bin ehrlich – mir fällt das oft schwer. Aber ich übe mich immer wieder darin. Und oft habe ich auch keine Wahl: Da muss ich abwarten, bis der Termin da ist, eine Frage sich klärt, ich Antwort bekomme. Geduld braucht es auch im Miteinander. Ein anderer braucht vielleicht etwas länger oder wählt eine andere Herangehensweise. Da muss ich mich zurücknehmen, ihn machen lassen und ihm seine Zeit gewähren. Geduld ist eine Tugend.

Andererseits ist aus unternehmerischer Sicht Geduld gar nicht so gefragt. Es muss schnell gehen, Ergebnisse müssen her. Ungeduldige Menschen sind oft fleißige, umtriebige Leute, die etwas wollen. Andererseits fördert die Ungeduld auch Fehler. Wenn ich mir nicht die Zeit gönne, über etwas in Ruhe nachzudenken, gründlich nach Lösungen zu suchen oder auch andere miteinzubeziehen, tut das auf längere Sicht nicht gut. Geduld ist eben doch eine Tugend.

Geduld ist auch gefragt beim Säen und Ernten. Davon erzählt Jesus in einem Gleichnis, das uns im 4. Kapitel des Markusevangeliums überliefert ist (VV. 26-29):

Jesus sagt: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

Gott, regiere du unser Hören und unser Reden durch deinen Heiligen Geist. Amen.

Hier tut einer, was seine Aufgabe ist: Er sät Samen auf das Land. Vermutlich handelt es sich um einen Landwirt und der ist Profi in dieser Sache. Nachdem er seine Aufgabe erfüllt hat, setzt er sich allerdings nicht an den Rand seines Ackers und wartet darauf, dass etwas passiert. Nein. Er geht nach Hause und schläft. Er steht wieder auf und geht seiner Arbeit nach bis zum Abend. Dann legt er sich wieder hin. So ist der Rhythmus, von Gott angelegt. Es wird Nacht und es wird Tag. Davon hören wir schön ganz am Anfang der Bibel. Das ist das Erste, was erzählt wird. Gott ordnet das Chaos. Er sorgt für einen Rhythmus des Lebens. Er sorgt für Ruhe und Erholung. Und er lässt wachsen.

Der Same geht auf und wächst, heißt es, der Sämann weiß nicht wie. Dieser Satz darf nicht falsch verstanden werden, nach dem Motto: Der hat ja keine Ahnung von dem, was er tut! Ganz im Gegenteil. Der Sämann weiß genau, was seine Aufgabe ist: Säen und Ernten. Auf das Wachstum hat er nur wenig Einfluss. So singen wir zum Erntedankfest jedes Jahr: „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.“ (EG 508) Eine bekannte Redensart heißt: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!“ Wir können dafür sorgen, dass das Samenkorn in Ruhe gelassen wird. Wir können vielleicht etwas wässern und vorsichtig düngen. Ob aus dem Samenkorn etwas wird und wie schnell da etwas wächst, können wir kaum beeinflussen. Deshalb ist Geduld gefragt. Denn – auch das weiß der Sämann – Wachsen ist ein Prozess: zuerst der Halm, dann die Ähre, dann die volle Frucht. So eine Entwicklung braucht Zeit.

Er beobachtet, was passiert. Denn momentan kann er nichts weiter tun, außer dem Ganzen seinen Lauf zu lassen. Doch das richtige Timing ist gefragt. Denn die Ernte muss zum richtigen Zeitpunkt geschehen. Da handelt der Sämann entschlossen und schnell. Er weiß genau, was er tut.

Wie viele Gleichnisse, die Jesus erzählt, ist auch dieses ein Gleichnis für das Reich Gottes. Wie ist das, wenn Gott unter uns wirkt? Wie passiert das? Bei diesem Gleichnis vom Sämann ahnen wir, dass es unaufhörlich, ja automatisch wächst.

Der schwäbische Pfarrer Johann Christoph Blumhardt begleitete Anfang der 1840er Jahre eine junge Frau aus seiner Gemeinde in der Seelsorge. Sie wurde von unerklärlichen Beschwerden geplagt, litt an Krämpfen und hörte Stimmen. Heute würden wir vielleicht sagen: Sie hatte eine psychosomatische Krankheit. An Weihnachten 1843 wurde sie geheilt. Nach einer krisenhaften Zuspitzung, von Blumhardt in seinem Bericht an den Oberkirchenrat in Stuttgart als „Geisterkampf“ bezeichnet, rief die junge Frau aus: „Jesus ist Sieger.“

Die Nachricht von ihrer Heilung verbreitete sich rasch und führte zu einer wahrhaften Erweckungsbewegung in dem kleinen schwäbischen Ort Möttlingen. Blumhardt wurde geradezu überrannt von Hilfesuchenden, die er schon bald nicht mehr alle in seinem Pfarrhaus empfangen konnte. Der Oberkirchenrat in Stuttgart, die zuständige Kirchenleitung, beobachtete sein Wirken ohnehin skeptisch. Blumhardt wurde der Rat erteilt, sich doch bitte mehr um die Predigt zu kümmern und mit diesen Heilungen aufzuhören.

Doch der dachte gar nicht daran, im Gegenteil. Blumhardt zog von Möttlingen nach Bad Boll und kaufte dort das heruntergekommene Kurhaus, das er zum Seelsorgezentrum ausbaute. Dieses Haus zog Gäste aus ganz Europa an und wurde zu einem Ort, an dem Menschen ganzheitlich Hilfe erfuhren.

An der Fassade des Kurhauses stehen bis heute zwei Buchstaben: W und P für Wilhelm I., König von Württemberg, den Gründer des Kurhauses und seine Frau Pauline. Blumhardt selbst übersetzte diese Buchstaben anders: W für warten und P für pressieren, also schwäbisch für ‚sich beeilen‘.

Warten und Pressieren, das entspricht dem, was auch der Sämann tut: Zur rechten Zeit handeln und dann den Dingen wieder ihren Lauf lassen. Blumhardt wusste: Das Reich Gottes hängt nicht von uns ab. Wir können es mit unserem Handeln nicht herbeizwingen. Aber wenn es kommt, wenn Gottes Gegenwart unter uns erkennbar wird, dann ergeben sich Chancen zum Handeln, die es zu nutzen gilt.

Dann können Menschen gesund werden an Leib und Seele und positive Entwicklungen aller Art in Gang gesetzt werden.

Warten und Pressieren, zur rechten Zeit etwas tun und lassen – das ist wie Einatmen und Ausatmen, im Rhythmus bleiben, den Dingen ihren Lauf lassen und dann doch auch den entscheidenden Impuls geben.[1]

Wie ist das nun mit dem Reich Gottes? Was hat das alles damit zu tun?

Aus dem Gleichnis vom Sämann erfahren wir, wie wichtig es ist, den Rhythmus zwischen Aktivität und Ruhe zu behalten. Beides gehört zusammen. Wachsen braucht seine Zeit.

So ist es auch mit dem Reich Gottes. Es kommt. Es entwickelt sich. Manchmal ist unsere Aktivität gefragt. Aber vor allem auch die Geduld. Das hilft mir in all den Situationen, wo ich mich frage: Wie soll das überhaupt werden? Denn vollenden wird es ein anderer. Er sorgt für Wachstum und Gedeihen, lässt reifen und bestimmt den Zeitpunkt der Ernte. Hoffnung heißt darauf zu vertrauen, dass Gott auch ohne unser Zutun eine gute, freundliche Welt schaffen wird. Wann das soweit ist, wissen wir nicht. Aber diese Wirklichkeit, das Reich Gottes, wächst unaufhörlich – auch hier und jetzt. Amen.

[1] Ausführungen zu Johann Christoph Blumhardt vgl. Predigt von Pfr. Stefan Klaes (Düsseldorf) unter  https://predigten.evangelisch.de/verfasser/pfarrer-stefan-klaes

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