Liebe Gemeinde,
das Gedenken an unsere Verstorbenen, Tod und Abschied führen uns an diesem Sonntag in die Kirche. Tod – so kann man es einfach sagen – ist, wer nicht mehr lebt. Diese Gedanken machen Angst, denn sie übersteigen unsere Vorstellungskraft. Was heißt das, tot zu sein?
Ein kleiner Junge nahm diese Gedanken zum Anlass, um seine alte Großmutter zu fragen: „Wenn du tot bist, dann ist nichts mehr los. Hast du nicht Angst davor?“ Die Großmutter lächelte ihn an und sagte: „Ja“, sagte sie, „du hast so sehr recht. Alles das, was so los ist in unserer Welt, wird nicht mehr los sein. Friedlos wird nicht mehr sein, vaterlos nicht, mutterlos nicht und nicht hoffnungslos. Lieblos wird nicht sein und nichts sinnlos. Geschmacklos wird nicht sein. Das muss denen sehr Angst machen, für die immer viel los sein muss.
Los wird nicht viel sein. Mutlos wird nicht sein. Endlos wird keine Qual mehr sein und keine Einsamkeit und keine Verzweiflung. Heimatlos wird nicht sein.“
Stille lag im Raum. Man spürte, wie der Junge überlegte, was die Großmutter ihm wohl mitteilen wollte.
„Ich habe keine Angst, mein Kleiner“, sprach sie in die Stille. „Für mich muss nicht viel los sein. Dafür werden Väter da sein und Mütter, Hoffnung wird es geben, der Krieg steht still.
Erbarmungslos wird nicht sein, dafür haben Friede, Sinn und Liebe Platz. Heimat wird sein, ewige Heimat. Ich überlasse die Angst denen, für die immer viel los sein muss. Nein, ich fürchte mich nicht vor dem, was dann sein wird.“
[Pause]
Der Ewigkeitssonntag ist ein Tag, an dem nicht viel los ist. Feste und Feiern finden heute nicht statt, keine lauten Partys. Es ist ein stiller Feiertag, an dem unsere Gedanken hinausreichen über das, was wir hier auf Erden täglich vor Augen haben. Unser Leben ist viel mehr als das. In dem Gespräch zwischen der Großmutter und dem kleinen Jungen wird etwas von der Wirklichkeit deutlich, die auf uns wartet jenseits des Todes.
Niemand kann sagen, wie genau diese Wirklichkeit nach dem Tod aussehen wird. Das macht es für uns so schwer zu begreifen, die wir gerne immer alles be-greifen, sehen, verstehen, ergründen. Doch diese Wirklichkeit, die wir Auferstehung nennen, ist der Grund des Glaubens, des Vertrauens in Gottes unendliche Möglichkeiten.
Nun ist es aber nicht so, dass wir gar nichts sagen könnten über dieses neue Leben. Denn die Bibel berichtet davon, dass Gottes Schöpfung, so wie sie uns ganz am Anfang der Bibel überliefert wird, weitergeht, jeden Tag und jede Stunde und auch die Wirklichkeit schafft, die jenseits des Todes liegt.
Von dieser Wirklichkeit spricht eine Vision im Buch Jesaja. Fast am Ende dieses prophetischen Buches ist sie aufgeschrieben. Da lesen wir, was Gott uns verspricht:
Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.
Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude, und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk.
Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.
Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.
Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.
Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.
Alles wird anders sein in Gottes neuer Welt, wenn er einen neuen Himmel und eine neue Erde schafft. Das ist Zukunftsmusik, das ist der Blick nach vorn – so sagt es selbst der Text.
In dieser Zukunft wird niemand mehr trauern, nicht mehr um einen Toten, nicht mehr um gescheiterte Beziehungen oder ungenutzte Chancen. Der Blick zurück wird uns das Herz nicht mehr schwer machen. Was für eine Verheißung! Wie oft drehen sich unsere Gedanken um das, was einmal war: um vergangene Erlebnisse, die nie wiederkommen, um ein Damals, als alles noch besser war, als wir gesund waren, geliebte Menschen noch unter uns waren, als wir diesen oder jenen Fehler nicht gemacht hatten oder schlimme Erfahrungen noch nicht machen mussten. Manchmal gehen diese Gedanken soweit, dass wir uns entfernen vom Hier und Jetzt und mehr und mehr in der Vergangenheit leben. Das tut weh, denn die Vergangenheit kommt nicht wieder. Bei Jesaja hören wir, dass Gott uns verspricht: Das alles wird vorbei sein! Denn niemand wird mehr zurücksehen und leiden. Ganz im Gegenteil! Freude und Jubel wird alles durchdringen. Sogar die Tiere, die von Natur aus sich feind sind, werden friedlich beieinander wohnen, keiner muss mehr sterben, erst recht nicht viel zu früh. Niemand wird mehr böse sein, keiner umsonst arbeiten – Gerechtigkeit und Frieden werden herrschen.
Das ist Gottes Versprechen für uns. Daran klammern wir uns, wenn die schlimmen Nachrichten über uns hereinbrechen, darauf hoffen wir im Leben und im Sterben. Dieses Bild greift das letzte Buch der Bibel wieder auf. Der Seher Johannes schreibt in der Offenbarung: Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Siehe, ich mache alles neu. (Apk 21,4)
So wird die Zukunft aussehen – das verspricht uns Gott.
Mit diesen Bildern von Gottes Welt im Kopf verändert sich der Blick auf die Gegenwart. Was ist das Leben? Eine Aneinanderreihung von immer wiederkehrenden Ereignissen? Ein Abschiedsprozess? Eine leidvolle Erfahrung, die alle Menschen machen müssen, durchkreuzt von kurzen Glücksmomenten? Angesichts des Todes liegen solche Gedanken nahe.
Dennoch wissen wir: Gott hat uns das Leben geschenkt. Er will, dass wir es verantwortlich gestalten und mit bauen an seinem Reich. Kraft dazu schenkt er uns. Er rief uns ins Leben. Wir sind seine geliebten Geschöpfe. Noch nicht einmal der Tod ist in der Lage, das Geschenk des Lebens auszulöschen. Denn unser Leben endet nicht in dieser Welt. So sagt Jesus Christus: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. (Joh 11,25)
Los wird nicht viel sein. Mutlos wird nicht sein. Endlos wird keine Qual mehr sein und keine Einsamkeit und keine Verzweiflung. Heimatlos wird nicht sein. Erbarmungslos wird nicht sein, dafür haben Friede, Sinn und Liebe Platz. Heimat wird sein, ewige Heimat.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.